Das 4. Ranking Politische Bildung 2020 misst erstmals auch den Stellenwert der politischen Bildung in der Berufsschule, die zur Sekundarstufe II gehört. Sie wird von wesentlich mehr Lernenden besucht als das allgemeinbildende Gymnasium. Deshalb haben wir untersucht, wie es um die politische Bildung an der Berufsschule steht. Zugleich führt das Ranking den Ländervergleich für die politische Bildung an den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe I aus den Jahren 2017, 2018 und 2019 fort.
Der empirische Indikator für die Relevanz schulischer politischer Bildung ist die Stundentafelquote des Leitfaches der politischen Bildung. Sie erfasst, vereinfacht gesprochen, den Anteil politischer Bildung an der gesamten Lernzeit eines Bildungsgangs. Die Stundentafelquote zeigt, welche Wertschätzung die po-litische Bildung in einer Schulform im Vergleich zu anderen Schulfächern genießt.
Ein Vergleich der Berufsschule mit den allgemeinbildenden Schulen auf der vorgelagerten Sekundarstufe I verdeutlicht, dass der Anteil politischer Bildung im schulstufenübergreifenden Vergleich sinkt. In beruf-lichen und in allgemeinbildenden Schulen ist das Recht auf politische Bildung sehr unterschiedlich reali-siert. Von einer Gleichwertigkeit der politischen Bildung über die Schulstufen, in Schulformen und Bun-desländern kann keine Rede sein.
Elf Bundesländer gewähren ihren Berufsschülerinnen und Berufsschülern wesentlich weniger Lernzeit für Politik als den Lernenden der Sekundarstufe I. Gegenüber der vorgelagerten Sekundarstufe I schrumpft in der Berufsschule der Lernzeitanteil für die politische Bildung im besten Fall um ein Drittel, im schlechtesten sogar um fast die Hälfte. Nur in drei Ländern liegt der Anteil deutlich höher als an den Herkunftsschulen.
Während die Ministerien die Zeit für politische Bildung in der Berufsschule einschränken, gewinnt Politik im neuen Lebensabschnitt und Alltag der Berufsschülerinnen und Berufsschüler an Bedeutung. In ihren neuen Rollen als junge Erwachsene erfahren sie in ihrem Alltag konkret die Folgen von Politik sowie Optionen und Grenzen, selbst politisch Einfluss zu nehmen. Die Arbeits- und Lebenswelten der Auszu-bildenden, ihre Erfahrungen und Probleme bieten der politischen Bildung Chancen, die ihr in allgemein-bildenden Schulen fehlen. Die Bildungspolitik lässt sie aber weitgehend ungenutzt.
Die Bundesländer schneiden im Ranking Politische Bildung sehr unterschiedlich ab, sowohl in der Se-kundarstufe I als auch in der Berufsschule. Die aktuellen Daten zeigen, dass die Demokratie die jungen Bürgerinnen und Bürger bei der politischen Bildung sehr ungleich behandelt.
Chancengleichheit beim Erwerb von Politik- und Demokratiekompetenz in der Schule steht nicht auf der Agenda der Bildungspolitik, dazu variieren die Lernzeiten für die politische Bildung zwischen den Bun-desländern viel zu stark. Auch findet man in den Daten keine Anzeichen dafür, dass die Bundesländer auf den hinteren Plätzen im Ranking wenigstens zum Mittelfeld aufschließen wollen. Das betrifft vor allem Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz.
Das 4. Ranking Politische Bildung enthält erstmals eine Fallstudie zum Fachlichkeitsniveau des Politik-unterrichts in der Sekundarstufe I. Sie zeigt für Nordrhein-Westfalen, dass die Fächer der politischen Bildung sehr unzureichend mit Fachlehrkräften versorgt werden. Die Personalsituation ist seit langem so schlecht, dass man dem Fach Politik als Alleinstellungsmerkmal attestieren muss, dass sein Fachlich-keitsniveau überall, immer und mit Abstand am schlechtesten ist. Vieles spricht dafür, dass die Lage in den meisten Bundesländern nicht wesentlich besser ist.
Kinder und Jugendliche sind Bürgerinnen und Bürger, hier und heute und nicht erst wenn sie wahlbe-rechtigt sind. Sie interessieren sich schon früh für Politik, sie wünschen und fordern politische Mitbestim-mung. Deshalb kommt es nicht nur auf die Lernzeit und die persönliche politische Redezeit, sondern auch auf die zeitliche Platzierung von politischer Bildung im Bildungsgang an. Aber sechs Länder halten Kinder und Jugendliche am Gymnasium lange von der Politik fern, Bayern sogar bis zum Beginn der Klasse 10.