TY - JOUR AB - Menschen mit Migrationshintergrund sehen sich mit unterschiedlichen Herausforderungen im deutschen Gesundheitssystem konfrontiert. Um ihre Gesundheit erhalten und verbessern zu können und um Zugang zu den Angeboten des Gesundheitssystems zu bekommen, benötigen sie eine ausgeprägte Gesundheitskompetenz. Unter Gesundheitskompetenz wird hier das Wissen, die Motivation und die Fähigkeit verstanden, gesundheitsbezogene Informationen finden, verstehen, bewerten und anwenden zu können, um sich im Gesundheitssystem zurecht zu finden, an präventiven und gesundheitsfördernden Maßnahmen teilzuhaben und sich im Krankheitsfall an Behandlungs- und Versorgungsentscheidungen beteiligen zu können. Die wenigen bislang vorliegenden empirischen Studien deuten an, dass Menschen mit Migrationshintergrund größere Schwierigkeiten im Umgang mit gesundheitsrelevanter Information haben und ihre Gesundheitskompetenz weniger gut ausgeprägt ist als die der Allgemeinbevölkerung. Sie stellen zugleich heraus, dass es an differenzierteren Erkenntnissen zur Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund fehlt, die der Diversität dieser Bevölkerungsgruppe entspricht. Hier knüpft der vorliegende Bericht an. In ihm werden die Ergebnisse einer Untersuchung dargestellt, die darauf zielt, überwiegend die Perspektive von Frauen mit türkisch- und russischsprachigem Migrationshintergrund der mittleren Generation auf das Thema Gesundheitskompetenz und Migration zu analysieren. Dazu wurden drei Fokusgruppendiskussionen abgehalten. Des Weiteren wurden sechs Einzelinterviews mit Frauen der Selbsthilfe von Migrant*innen durchgeführt, um die Ergebnisse der Fokusgruppendiskussionen zu ergänzen und die Bedeutung der (muttersprachlichen) Selbsthilfearbeit zur Stärkung der Gesundheitskompetenz zu eruieren. Weibliche Teilnehmerinnen wurden deshalb ausgewählt, weil sie eine besondere Rolle in der Familie als Gesundheitsmanagerin und den dazu nötigen Umgang mit gesundheitsrelevanter Information spielen. Bei der Analyse der erhobenen Daten wurde gefragt, (1) welches Verständnis die Frauen von Gesundheitskompetenz haben, (2) wie sich ihre Erfahrungen beim Suchen, Verstehen, Beurteilen und Anwenden von Informationen darstellen und (3) welche Informationsquellen sie wie nutzen bzw. welche Wünsche sie an die Verbesserung von Gesundheitsinformationen für Menschen mit Migrationshintergrund haben. Die Bedeutung der Migrationserfahrung zieht sich dabei als grundlegende Frage durch. Es zeigt sich, dass die Frauen mit türkisch- und russischsprachigem Migrationshintergrund der mittleren Generation sehr versiert im Umgang mit Gesundheitsinformationen sind: Sie nutzen die unterschiedlichsten Informationsquellen – insbesondere digitale Informationsmedien – mehrgleisig und mehrsprachig. Gleichzeitig fühlen sie sich durch die Vielfalt überfordert und wünschen sich Orientierungshilfen. Vor allem für ältere Angehörige sehen sie einen großen Bedarf, deren Gesundheitskompetenz – auch die Gesundheitssystemkompetenz – zu erhöhen und die Informationsvermittlung mehrsprachig, kultur- und migrationssensibel auszurichten. Die Frauen unterstützen die gesundheitsbezogene Informationssuche, Informationsverarbeitung und auch die Entscheidungsfindungen ihrer Angehörigen und verantworten somit nicht nur ihre eigene Gesundheitskompetenz, sondern auch die der Familie. Die vorliegende Untersuchung zeigt die Wichtigkeit auf, sie in dieser Mittlerinnen-Funktion zu fördern, nicht zuletzt, um die Erreichbarkeit älterer Menschen mit Migrationshintergrund und geringer Gesundheitskompetenz zu erhöhen. DA - 2020 DO - 10.4119/unibi/2949096 LA - ger PY - 2020 TI - Gesundheitskompetenz von Menschen mit Migrationshintergrund: Perspektive und Erfahrungen von türkisch- und russischsprachigen Frauen UR - https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0070-pub-29490967 Y2 - 2024-11-22T07:20:09 ER -