Im Ausgang der individualistischen Philosophie des Begründers der modernen Erkenntnistheorie, Rene Descartes, wurden einzelne Themenfelder und Fragen der Erkenntnistheorie in der Regel aus einer Perspektive eines sozial-isolierten Individuums heraus behandelt.
Soziale Bedingungen von Erkenntnis rückten erst – im Zuge der sozialen Wende in der Erkenntnistheorie – ab den 1970er Jahren zunehmend ins Zentrum des philosophischen Interesses. Im Laufe der sich intensivierenden Diskussion etablierte sich schließlich ein neuer Zweig der philosophischen Erkenntnistheorie: Die Soziale Erkenntnistheorie.
Innerhalb der Sozialen Erkenntnistheorie gibt es - nach einer Terminologie Alvin Goldmans - vor allem zwei Lager: Das Lager des Revisionismus und das des Konservativismus oder des Expansionismus. Revisionistische Ansätze stellen die fundamentalen Begriffe und Projekte der klassischen individualistischen Erkenntnistheorie grundlegend in Frage – das Soziale der Sozialen Erkenntnistheorie führt für sie zu epistemisch-relativistischen Positionen bzgl. Wissen und Rechtfertigung und die Soziale Erkenntnistheorie wird als legitimes Nachfolgeprojekt der gescheiterten klassischen Erkenntnistheorie verstanden. Konservative oder expansionistische Ansätze wollen dagegen die individualistische Untersuchung von Wissen und Rechtfertigung der klassischen Erkenntnistheorie um die Untersuchung ihrer sozialen Bedingungen ergänzen – das Soziale der Sozialen Erkenntnistheorie führt für sie nicht zu epistemisch-relativistischen Positionen und die Soziale Erkenntnistheorie wird als eine Erweiterung der klassischen Erkenntnistheorie verstanden.
Die Arbeit „Grundzüge und Grundpositionen der Sozialen Erkenntnistheorie“ geht nun insbesondere der Frage nach, welcher dieser zwei Ansätze plausibler ist. Dafür werden die Theorien zweier wichtiger Vertreter der jeweiligen Strömung, Martin Kuschs kommunitaristische Erkenntnistheorie aus „Knowledge by Agreement“ und Alvin Goldmans veritistische soziale Erkenntnistheorie aus „Knowledge in a Social World“, kritisch diskutiert und untersucht, welche der beiden Theorien zu überzeugen vermag.
Diese kritische Diskussion legt es nahe, dass Goldmans Theorie in ihrer prinzipiellen Tendenz plausibler ist als die Kuschs. Dies und die Tatsache, dass einige der in „Grundzüge und Grundpositionen der Sozialen Erkenntnistheorie“ formulierten Probleme von Kuschs Theorie auch auf andere revisionistische Ansätze zutreffen mögen, lässt es schließlich plausibel erscheinen, dass konservativ-expansionistische Ansätze in der Sozialen Erkenntnistheorie vielversprechender sind als revisionistische. Auf Basis dieser Einsicht werden dann in „Grundzüge und Grundpositionen der Sozialen Erkenntnistheorie“ noch Überlegungen über die Ausgestaltung eines prinzipiellen konservativ-expansionistischen Ansatzes in der Sozialen Erkenntnistheorie angestellt und darauf aufbauend eine Skizze möglicher Forschungsfelder der Sozialen Erkenntnistheorie entworfen.