See- und Ästuardeiche schützen in Deutschland mehr als 2,4 Millionen Menschen und zählen damit zu den wichtigsten Küstenschutzbauwerken. Im Versagensfall drohen schwerwiegende Konsequenzen, wie z. B. bei der verheerendsten Sturmflut der Stadtgeschichte Hamburgs im Jahr 1962, bei der nach zahlreichen Deichbrüchen rund ein Sechstel des Stadtgebietes überflutet wurde und über 300 Menschen starben. Das frühzeitige Erkennen von Gefahren ist daher elementar, um einen zuverlässigen Küstenschutz zu ermöglichen. Die in Deutschland existierenden Frühwarnsysteme an der Küste basieren auf Wasserstandmessungen und -vorhersagen, die z. B. durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie in Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst online zur Verfügung gestellt werden. Die Vorhersagen des Wasserstands werden derzeit punktuell für ausgewählte Pegelstandorte bereitgestellt. Aus Wasserstandsaufzeichnungen und deren Auswertungen ist jedoch bekannt, dass solche punktuellen Wasserstandsinformationen nicht repräsentativ für ein größeres Gebiet, z. B. für die Deutsche Bucht oder auch kleinere geografische Einheiten, wie z. B. eine Hallig, sind. So können aus lokalen Effekten und nicht-linearen Interaktionen flächige Wasserstandsdifferenzen im Dezimeterbereich entlang eines einzelnen Küstenabschnitts resultieren. Insbesondere entlang komplexer Küstenlinien, wie die der deutschen Nordsee mit Inseln, Halligen, Buchten, Ästuarien und dem Watt, ist eine einfache Interpolation zwischen den Pegelstandorten von unzureichender Genauigkeit. Diese Dissertation befasst sich mit der Erarbeitung einer neuen Methodik zur flächig und zeitlich hochauflösenden Wasserstandsvorhersage auf Basis existierender Ansätze und Modelle für die gesamte deutsche Nordseeküste. Dafür kommt ein hydrodynamisch-numerisches Modell zum Einsatz, mit dessen Hilfe Wasserstandsinformationen für die gesamte deutsche Nordseeküste simuliert bzw. rekonstruiert werden. Die Modellbildung erfolgt auf Basis aktueller bathymetrischer Informationen, meteorologischer und astronomischer Randbedingungen sowie den beobachteten Änderungen des mittleren Meeresspiegels. Die auf diese Weise generierten Wasserstandsinformationen werden in die zugrundeliegenden Gezeiten- und Windstauanteile separiert. Hierzu wird der Gezeitenanteil direkt mit Hilfe von deterministischen Modellen abgeschätzt, während die Differenz zwi-schen Wasserstand und Gezeitensignal den meteorologisch induzierten Anteil am Wasserstand beschreibt. Für dieses stochastische Signal (i. d. R. als Windstau bezeichnet) wird ein empirisch-statistisches Modell auf Basis von multiplen linearen Regressionsbeziehungen entwickelt. Die Ableitung der Regressionskoeffizienten basiert auf meteorologischen Randbedingungen. Ein Schwerpunkt bei diesen empirisch-statistischen Windstaumodellen liegt auf der Berücksichtigung der nichtlinearen Interaktion zwischen Gezeiten und Windstau. Die Kombination der genannten Modellkette (Gezeitensynthese plus Windstauvorhersage) ermöglicht nun zum ersten Mal eine flächig wie zeitlich hochauflösende Wasserstandsvorhersage entlang der gesamten deutschen Nordseeküste (einschließlich Inseln und Halligen, Punktabstand ~1 km, Stundenwerte). Anhand eines Sturmflutereignisses (Orkan „Xaver“ im Dezember 2013) wurde das Verfahren praxisnah angewendet und anschließend erfolgreich in einen operationellen Testbetrieb integriert. Diese Arbeit liefert somit einen wesentlichen Beitrag zur Erweiterung und Optimierung bestehender Frühwarnsysteme des Küstenschutzes.
Titelaufnahme
- TitelUntersuchungen zur hochauflösenden Wasserstandsvorhersage an der gesamten deutschen Nordseeküste
- Titel-ÜbersetzungInvestigations on high-resoluted water level forecasts along the entire German North Sea coast
- Verfasser
- Betreuer
- Erschienen
- Verteidigung2020-04-30
- SpracheDeutsch
- DokumenttypDissertation
- Schlagwörter
- URN
- DOI
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- Nachweis
- IIIF
Sea and estuarine dikes protect more than 2.4 million people in Germany, making them one of the most important coastal protection structures. A failure of these structures would have serious consequences as e.g. during the Hamburg flood in 1962, where one sixth of the city were flooded and more than 300 people lost their lives as a result of several dike failures. Therefore, early recognition of dangers and disaster prevention are elementary to ensure reliable coastal protection. Existing early warning systems for coastal protection in Germany are based on water level measurements and forecasts provided e.g. by the Federal Maritime and Hydrographic Agency in cooperation with the German Weather Service. The predictions of the water level are currently provided selectively for individual tide gauge locations. However, it is known from water level records and their investigations that such tide gauge based water level information is not representative for a larger area, e.g. for the German Bight, or for smaller geographical units, e.g. a Hallig. Thus, local effects and nonlinear interactions can result in spatial water level differences in a range of decimetres along a single coastal section. Especially along complex coastlines, such as the German North Sea with islands, bays, estuaries and tidal flats, a simple interpolation between tide gauge locations is inaccurate. This thesis deals with the development of a new methodology for the prediction of water levels at higher resolution based on existing approaches and models for the entire German North Sea coastline. A hydrodynamic numerical model is used to simulate water levels for the entire coastline of the German North Sea. The modelling is carried out on the basis of currently available bathymetric information, meteorological and astronomical boundary conditions as well as the observed changes in the mean sea level. Next, the water level information is separated into tidal and non-tidal components. The non-tidal residual is applied to derive empirical-statistical models using multiple linear regression relationships. Regression coefficients are derived using meteorological boundary conditions as input. The statistical approaches presented here also aim at incorporating the nonlinear interaction between tide and non-tidal residual into the model chain (tidal synthesis and non-tidal residual prediction). As a result, a first of its kind water level prediction at high spatial and temporal resolution along the entire coastline of the German North Sea (including islands and Halligen, point distance ~1 km, hourly values) is presented. Based on the 2013 storm surge “Xaver“, the procedure was applied practically and then successfully integrated into an operational test operation. This work thus makes a significant contribution to the extension and optimisation of existing early warning systems for coastal protection.
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