Im 19. Jahrhundert, als die industrielle Revolution im Westen die Natur der Großstädte
grundlegend änderte und aus ihnen ein anonymes und gleichgültiges ‘Wesen’ machte, wurde den
Städten außerhalb der Grenzen des technisch fortgeschrittenen Lebensraumes eine neue
Aufmerksamkeit zugewendet: Diese fernen Orte wurden als ein Spielraum verstanden und erlebt,
wo die Stadt dem Reisenden gegenüber als ein verführerisches ‘Wesen’ hervortrat. Die Zunahme
von Reisen aus dem Westen veränderte aber auch die exotische Kultur dieser Städte, die bald der
Versuchung, das glänzende materielle Reichtum nachzuahmen, nicht widerstehen konnten. Durch
diese Versuche – als ‘Modernisierung’ bekannt – wurden die ursprünglichen Identitäten radikal in
Frage gestellt. So eine Großstadt, ein „zerstückelter Raum distinktiver Zeichen“ (Baudrillard), ist
Istanbul.
Auf dem vielschichtigen Feld teils einander entgegengesetzten, teils miteinander eng verbundenen
Erfahrungen der Reisenden haben drei französische Autoren die Wirklichkeiten Istanbuls auf eine
besondere Weise vermittelt: Théophile Gautier mit Constantinople (1853), Pierre Loti mit Le cycle
turc (1879-1921) und Alain Robbe-Grillet mit L’Immortelle (1962; 1963), deren schriftliche
Darstellungen [Zeitungsartikel, Tagebuchaufzeichnungen, Szenenbeschreibungen] jeweils mit einer
bildlichen Darstellung [Malerei, Photographie, Film] verknüpft sind. Diese mediale
Zusammenstellung besitzt die Besonderheit, daß die Vermittlung von Stadt- bzw.
Kulturerfahrungen der genannten Künstler-Autoren die Grenzen einer gradlinigen Mimesis
überschreiten und die Möglichkeiten einer wirklichkeitsnahen Beschreibung des ‘fremden’ Objekts
[Istanbul] vervielfältigen. Die Medien, die individuell eine Stadt formulieren, werden ihrerseits zu
autonomen Vermittler und visualisieren das abwesende Objekt für den Rezipienten unabhängig von
den Fremdeindrücken der Reisenden. Infolgedessen läßt sich die hybride Identität von Istanbul im
Wandel von Perspektiven und Medien rekonstruieren, womit sich die Intermedialität
auseinandersetzt.