Adrienne Thomas und ihr literarisches Schaffen stehen in Zusammenhang mit ihrer Biographie und sozialhistorischen Bedingungen. Als Lothringerin und Jüdin erlebt Adrienne Thomas beide Weltkriege, verschiedene politische Systeme, das Exil und die Zeit der Restauration. Hier möchte diese Arbeit anknüpfen. Ausgangspunkt ist, dass sich in dem Werk der Autorin neben der aktuellen inhaltlichen Thematik auch Spuren einer innovativ veränderten Narrativik nachweisen lassen. Im Allgemeinen finden sich in dem Werk der Autorin eine traditionelle Figurengestaltung und eine klassische Handlungsstruktur, die in der früheren Rezeption den geringeren literarischen Anspruch und eine grundsätzliche Zuordnung zur Unterhaltungs- und Trivialliteratur begründen. Doch auch Literatur geringeren Anspruchs kann sich romanästhetischen Umbrüchen nicht entziehen. Ziel dieser Arbeit ist es, paradigmatisch in Adrienne Thomas’ Werk jene thematischen und formalen Nischen auszuloten, in denen sich innovative Leistungen ästhetischer Qualität bemerkbar machen. Die poetologische Analyse orientiert sich streng am Text, es werden jedoch Bezüge zu biographischen, sozialhistorischen, kulturellen und literarischen Bedingungen hergestellt. Es werden Wendepunkte markiert für die Zeiten vor, während und nach dem Exil.
Indiz für den innovativen Umgang mit progressiven Inhalten ist das Frauenbild, wobei weibliche Wirklichkeitserfahrung und weibliche Handlungsräume untersucht werden. Die Gestaltung der Protagonisten, des Erzählers, der Handlungsstruktur, der Zeit- und Raumstrukturen und des Sprachgestus werden als formale Analysekategorien überprüft. Von Bedeutung werden zeitgenössische Philosophen und Literaturtheoretiker sein, deren ideelle und romanästhetische Prinzipien als richtungweisend angesehen werden, die aber nur bedingt angewandt werden können. Zu ihnen gehören Georg Lukács und Michail Bachtin, während für die Zeit im Nachkriegsösterreich Richard Bamberger von Interesse sein wird. Im Zentrum steht das „kleine Glück“, das in Verbindung mit der Rezeption als Indiz für Trivialität gesehen wird. Dieses wird aktuellen literarischen Inhalten und modernen formalen Ansprüchen gegenübergestellt. Da das Werk der Autorin der nicht-kanonisierten Literatur zugeordnet wird, werden die Rezensionen der Romane in Abhängigkeit von der selektiven Wahrnehmung und den divergierenden Bewertungsmaßstäben zu sehen sein. Um die Analyse abzurunden, ist ein Vergleich mit Romanen ähnlichen Inhalts und Komposition sinnvoll, um den Grad der innovativen Leistung der Autorin würdigen zu können.
Die Diskussion über die Trivialliteratur ist mit den achtziger Jahren abgeschlossen und soll nicht wieder aufgenommen werden. Der Bezug auf die Trivialliteratur berücksichtigt die zeitgenössische Rezeption. Es soll die brüchige Grenzlinie zwischen U- und E-Literatur bestätigt und der Ansatz einer vom Literatursystem abhängigen und dogmatisch vertretenden „Norm“ in der Beurteilung von nicht-kanonisierter Unterhaltungsliteratur besiegelt werden.