Rumänien ist seit 2007 Mitglied der Europäischen Union. 2004 hat die EU-Kommission die rumänische Volkswirtschaft als funktionierende Marktwirtschaft eingestuft. Trotzdem existieren hohe wirtschaftliche Unterschiede zwischen Rumänien und den restlichen EU-Staaten. Das Land ist relativ groß und relativ arm im Vergleich zum Durchschnitt in der Union. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, gemessen in Kaufkraftstandards, betrug 2005 nur 35 Prozent des durchschnittlichen Wertes in der EU-25 (vgl. Eurostat 2006a). Zudem ist Rumänien nach dem Beitritt zur EU das Land mit der zweitgrößten landwirtschaftlichen Nutzfläche und der zweithöchsten Anzahl Beschäftigter in der Landwirtschaft unter den Mitgliedsländern der Kopenhagener Runde. Dabei ist die Produktivität in diesem Sektor gering. Die Ursachen für diese Diskrepanzen liegen nicht nur im Ablauf des Transformationsprozesses vom sozialistischen zum kapitalistischen System und in der Ineffizienz des sozialistischen Systems, sondern auch in der früheren wirtschaftlichen Entwicklung Rumäniens. Der Entwicklungsnachteil ist eng mit dem institutionellen Rahmen der Gesellschaft verbunden.
Die vorliegende Arbeit ist eine positive Analyse des institutionellen Wandels in Rumänien und dessen Auswirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes von 1866 bis 2005. Mit dem Instrumentarium der Neuen Institutionenökonomie (NIÖ) werden die wichtigsten gesellschaftlichen Regeln und der Mechanismus ihrer Veränderung im Zeitverlauf analysiert. Die Zielsetzung der Arbeit ist es, einen Beitrag zum Verständnis des heutigen wirtschaftlichen Entwicklungsstandes und des Transformationsprozesses in Rumänien zu leisten sowie die Neue Institutionenökonomie auf einen weiteren Fall anzuwenden.
Zwei zentrale Fragestellungen werden verfolgt. Zum einen, inwiefern die institutionellen Arrangements Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes im Laufe der Zeit nahmen und zum anderen, inwiefern die Pfadabhängigkeit bei der Transformation vom sozialistischen zum kapitalistischen System von Bedeutung ist. Im Fokus der Analyse liegen dabei insbesondere die Entwicklung der Verfügungsrechte, die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft und die Veränderung der relevanten internen Institutionen.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit gehen wir von der These aus, dass Rumänien sich zu Beginn der Transformationszeit nicht in einem "institutionellen Vakuum" (Bunce und Csanádi) befand, sondern auf einem Entwicklungspfad, der maßgeblich die Schaffung der externen Regeln sowie die Veränderung der internen Regeln beeinflusste. Murrells (1995) Beschreibung des institutionellen Rahmens in den Transformationsökonomien Mittel- und Osteuropas unmittelbar nach der Wende, "tabula non rasa", wird im Rahmen dieser Untersuchung bestätigt.
Der angewandte Forschungsansatz ist qualitativ-explorativ. Eine qualitative Methode wird aus zwei Gründen gewählt. Zum einen führt die Aggregation der Daten über einen so großen Zeitraum aufgrund der Unvollständigkeit und der Verzerrungen zu ungenauen Werten. Zum anderen ist die genaue Wirkung der Institutionen und deren Veränderungen auf die wirtschaftliche Entwicklung schwer messbar. Ein explorativer Forschungsansatz wird deswegen gewählt, weil sich die Forschung institutionenökonomische Forschung am Beispiel von Rumänien im Anfangsstadium befindet. Nur wenige Ergebnisse sind für die vorliegende Arbeit relevant. Aus diesem Grund gehen wir im Rahmen dieser Untersuchung von einer einzigen These aus. Im Laufe der Analyse und nach ihrem Abschluss werden die Schlussfolgerungen zusammengetragen.
Die analysierte Zeitspanne teilen wir in drei Abschnitten ein: in die kapitalistische Zeit 1866 bis zur Einführung des sozialistischen Systems, die sozialistische Zeit und die Transformationszeit. Die Vorgehensweise ist für jeden der drei Abschnitte ähnlich. Zunächst werden die relative Verhandlungsmacht und die Interessen der politischen, bürokratischen, rechtlichen und sozialen Akteure, welche an der Verhandlung von Institutionen beteiligt sind, dargestellt. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen kann die Veränderung bedeutender externer Institutionen erklärt werden. Anschließend werden die Auswirkungen dieser Veränderungen auf das Anreizsystem und die Transaktionskosten in der Gesellschaft untersucht, d.h. auf die Einflussgrößen, die eine direkte Wirkung auf die Wirtschaftsleistung haben. Methodisch folgt die Untersuchung dem Ansatz von Douglass C. Norths "Neuer Wirtschaftsgeschichte" und orientiert sich an Wallis' institutionellem Modell der offenbarten Präferenzen. Situationsabhängig werden verschiedene institutionenökonomische Ansätze genutzt, weil ein erwiesenes Modell, welches alle Ansätze der NIÖ vereint, bislang fehlt.