Ausgehend von der Frage, warum die trotzkistischen Strömungen im Unterschied zur Mehrzahl der Organisationen der sogenannten Neuen Linken weiter existent sind und im Unterschied zu den kommunistischen Organisationen ihren Mitgliederstand halten und teilweise ausbauen konnten, wird die Theorie entwickelt, dass dies mit ihrem Festhalten am revolutionärem Marxismus, weiter ihrer Fähigkeit, neue politische Fragen aufzunehmen und theoretisch verarbeiten zu können und ihrem Verständnis von einem antibürokratischen Marxismus zusammenhängt, was ihnen auch für die Zukunft das politische Überleben ermöglichen wird. Die historisch-empirische Darstellung im ersten Teil der Arbeit (Geschichte der IV. Internationale und deren Konkurrenzorganisationen, der trotzkistischen Gruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz und deren theoretischen Differenzen) dient einem umfassenden Überblick über das Phänomen "Trotzkismus", in welchem gezeigt wird, dass es heute wenig sinnvoll ist, verallgemeinernd von "dem" Trotzkismus zu sprechen, da Trotzkis Theorien durch die jeweiligen Organisationen unterschiedlich weiterentwickelt wurden. Die Darstellung dient der Beschreibung der praktischen Umsetzung von Theorie, Strategie und Taktiken der trotzkistischen Strömungen.
Die Charakteristika der trotzkistischen Strömungen bilden allerdings nur eine mögliche abhängige Variable, die ihre Fortexistenz erklärt. Andere Variablen, wie die politische Kultur oder das politische System eines Landes, die Art und Weise der Organisationsform oder auch der Grad der Orthodoxie/Heterodoxie können einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung und Fortexistenz der trotzkistischen Organisationen ausüben. Im zweiten Teil dieser Arbeit wird demzufolge die politische Kultur und die politischen Systeme in Deutschland, Österreich und der Schweiz skizziert und festgestellt, dass objektive Umstände, wie eine vorherrschende Konsenskultur, ein ausgeprägter Konservatismus der Bevölkerung, eine dominant inklusive Strategie des Staates (in Deutschland eher exklusiv, dafür hoher Institutionalisierungsdruck und Wohlfahrtsstaat) und ein entwickelter Sozialstaat nur eine schwach entwickelte radikale Linke zuließen, die im besonderen in der halbdirekten Demokratie der Schweiz einem hohen Integrationsdruck ausgesetzt war. Diese Faktoren können zwar die geringe politische Bedeutung der Trotzkisten (und anderer radikaler Linker) in diesen drei Ländern erklären und bestätigen auch, dass die Variable Politische Kultur die Entwicklung trotzkistischer und linksradikaler Organisationen mitbestimmt, sie geben aber keine Auskunft über Erklärungsmomente für die Fortexistenz dieser Organisationen. Dagegen zeigt die organisationssoziologische Betrachtung des Verhältnisses von sozialen Bewegungen und Organisationstyp der trotzkistischen Organisationen im anschließenden Kapitel, dass Wachstum, Stabilität und Zerfall der Gruppen nicht monokausal mit dem Faktor Stärke der sozialen Bewegung oder dem Faktor Organisationstyp, sondern mit der jeweiligen spezifischen Kombination beider Faktoren zu erklären sind. Die Organisationen, die mit einem integrativen Organisationstyp vom Wachstum der sozialen Bewegungen am meisten profitieren konnten, zerfielen auch beim Abflauen der Bewegung schneller, während die exklusiven Organisationen weniger von den Bewegungen profitieren konnten, sich dafür aber weitaus besser im Organisationsaufbau stabilisieren konnten.
Im zweiten Teil der Arbeit wird gezeigt, dass neben den allgemeinen Charakteristika der trotzkistischen Strömungen auch Variablen wie politische Kultur, politisches System, Organisationstyp und Grad der Orthodoxie / Heterodoxie die Entwicklung der trotzkistischen Organisationen beeinflussen.
Da es in dieser Arbeit aber weniger um die Entwicklung einzelner Organisationen, sondern um die theoretische Annahme geht, dass die Fortexistenz der trotzkistischen Strömungen mit bestimmten Charakteristika zu erklären ist, werden im dritten Teil Hypothesen aufgestellt und geprüft, die einen Zusammenhang zwischen den jeweiligen gesellschaftlichen Phasen von Stabilität, Krisen, der Entwicklung sozialer Bewegungen und der der trotzkistischen Organisationen herstellte. So wird auf der Grundlage der Beschreibung der Entwicklung verschiedener Organisationen ausgehend von der Nachkriegszeit bis zur Studentenbewegung, über die Phase der neuen sozialen Bewegungen bis zum Ende des "Realsozialismus" und der neunziger Jahre bis heute aufgezeigt, dass das Wachstum und die Stabilität der trotzkistischen Gruppen zwar von gesellschaftlichen Krisenzyklen abhängen, dass sie aber aufgrund ihres kritischen marxistischen Selbstverständnisses und ihrer theoretischen und taktischen Flexibilität in Phasen gesellschaftlicher Stabilität auch mit einem reduzierten Kaderstamm "überwintern" und sich revitalisieren können.