By their very existence, adaptations remind us there is no such thing as an autonomous text or an original genius transcending history, either public or private. They also affirm, however, that this is not to be lamented.
- Linda Hutcheon, A Theory of Adaptation (2006)
1 Einführung
Adaptionen - ob sie auf einer Literaturvorlage, einem Zeitungsbericht oder einem historischen Ereignis basieren - sind in der heutigen Filmindustrie eher die Regel als die Ausnahme: so waren laut einer Statistik von 1992 mit 85 Prozent die überwiegende Mehrzahl aller Oscar-Gewinner in der Kategorie "bester Film" Adaptionen (Seger 2001, 9). Dass dem Konzept der Adaption immer noch das Attribut der kulturellen Unterlegenheit anhaftet, mag daran liegen, dass es sowohl von Wissenschaftlern als auch von Filmkritikern häufig als zweitrangig beschrieben wurde, als ewiger Versuch, dem Originaltext gerecht zu werden. Einer solchen Definition von Adaption würde deren Scheitern bereits innewohnen, da eine hundertprozentige Treue dem Original gegenüber nichts anderes wäre als eine äußerst unkreative Kopie. So führt die Theoretisierung der Adaption durch Hutcheon im Kontext von Intertextualität und Postmoderne solche Konzepte wie "Original", "Hierarchie" und "Autonomie des Textes" ad absurdum. Das obige Zitat Hutcheons kann als Motto der vorliegenden Arbeit verstanden werden, in der ich meine Adaption von Kazuo Ishiguros Roman Never Let Me Go zum Drehbuch im Lichte gegenwärtiger Adaptionstheorie sowie praktischer Drehbuchtheorie beleuchte: um nicht in Depressionen zu verfallen, gestehe ich mir von Beginn an ein, dass dies kein Versuch ist, den Roman 1:1 in ein Drehbuch zu übertragen. Stattdessen sehe ich die Literaturvorlage als eine Quelle von Charakteren, Ideen und verschiedener Plot Lines, aus denen ich meine eigene Version der Geschichte webe.
Diese kreative Arbeit wurde angeregt und auf vielfältige Weise bereichert durch Diskussionen in den Drehbuchseminaren von Jürgen Kühnel zwischen dem Wintersemester 2006/07 und dem Wintersemester 2007/08, wodurch mir vieles über die Natur des Drehbuchs als Adaption bewusst wurde. Das wichtigste Merkmal der Gattung Drehbuch ist vielleicht seine Hybridität: einerseits ist das (literarische) Drehbuch zu verorten zwischen Roman, Drama und Film. Als Text verfügt es noch nicht über die Multidimensionalität (Ton, Bild und Wort) des Films, bildet aber durch seine Beschreibungen und Dialoge die Ansätze für deren Umsetzung und ist gleichzeitig mehr als nur ein Zwischenschritt. Andererseits bewegt sich das Drehbuch stets zwischen Handwerk und Kunst: vor allem auf dem amerikanischen Markt wird das Drehbuchschreiben eher als Handwerk betrachtet (vgl. Eick 30) - ein obendrein nicht besonders lukratives -, was sicher auch zu seiner Geringschätzung als Literatur beigetragen hat. Durch die zunehmende Theoretisierung der Adaption (wie bei Hutcheon oder Robert Stam) löst sich diese Dichotomie auf. Meine Hinterfragung des eigenen Schreibprozesses beim Adaptieren soll also auch einen kleinen Beitrag zu dieser Debatte darstellen. Dabei ist mir bewusst, dass die Vorlage für mein Drehbuch bereits kürzlich von einem anderen Autor umgesetzt wurde und aktuell verfilmt wird1 - eine Tatsache, die erst ans Licht kam, als mein Schreibprozess bereits im vollen Gange war. Dies hat mein Hauptaugenmerk beim Schreiben auf die Literarizität des Drehbuchs gelenkt: da ich vor diesem Hintergrund umso weniger die Utopie der Verfilmung meines Drehbuchs vor Augen hatte, sollte das Endergebnis eher lesbar sein als anwendungsorientiert. Im Sinne Hutcheons dürfte diese Koexistenz verschiedener Drehbuchvarianten ein und desselben Stoffs keine Beeinträchtigung darstellen, da jede Drehbuch-Version eine eigene Geschichte darstellt, die sich aus dem jeweiligen Kontext, Wissen und Stil des Autors ergibt.