Auf der Sachebene verliert Bildung durch die permanenten Reformen (2000-2011) im Bildungswesen (zu dem immer mehr auch der Kindergarten bzw. die Kita gezählt wird) nie an Aktualität. Gerade das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts zeichnete sich dadurch aus, dass die Diskussion um Bildung besonders intensiv geführt wurde. Die dazugehörenden Stichworte lauten unter anderem: Wissensgesellschaft, frühkindliche Bildung, Bologna, G8, Sekundarschule, Schulstreit, Bildungsrepublik und bildungsferne Schichten. Da sich in den Konnotationen eines Begriffs gesellschaftliche bzw. soziale Verhältnisse spiegeln (Maas 1985, 78), ist der bildungspolitische Diskurs bzw. die mediale Darstellung des Diskurses in verschiedenen Printmedien besonders gut geeignet, um den Begriff der Bildung in seiner jeweiligen aktualisierten Form zu untersuchen. Da die „aktuellen“ Reformen den Hintergrund für die Begriffsanalyse bilden, gehört die Darstellung und Erläuterung der Reformen sowie deren Hintergründe zwangsläufig dazu, wie auch nicht von der gesellschaftspolitischen Dimension von Bildung abgesehen werden kann. Besonders an diesen Stellen, aber auch in der gesamten Arbeit wird die „Diskursanalyse als Gesellschaftsanalyse“ verstanden, so wie es Siegfried Jäger im Gespräch mit Rainer Diaz-Bone (2006, Abs. 56) fordert. Entsprechend wird hier eine „transdisziplinäre Öffnung“ (ebd. Abs 55) verfolgt. Aber auch die Ergebnisse dieser fächerübergreifenden „Ausflüge“ werden auf die Frage der Verwendungsweise und des Bedeutungswandels des Begriffs Bildung zurückgeführt. Dieser Ansatz wird dadurch ergänzt, dass eine Diskursanalyse mit „gouvernementaler Perspektive“ (Maeße, 2010, 102) durchgeführt wird. Dies bringt es mit sich, dass auch die politische Funktion und die Folgen der Rhetorik (Dispositive) einbezogen werden.
Der Begriff Bildung gehört zu den sogenannten Hochwertbegriffen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in der politischen Kommunikation zustimmungspflichtig sind. Wer mehr oder bessere Bildung fordert, kann sich der allgemeinen Zustimmung sicher sein, daher fehlt der Begriff „Bildung“ in kaum einer „Sonntagsrede“. Derart aktualisiert besitzt der Begriff eine Vielzahl von Konnotationen. Diese Offenheit oder die Unbestimmtheit der Bedeutungsseite gehört zu den Eigenschaften eines „Begriffs“, weshalb es überhaupt erst zu Deutungskämpfen um Begriffe kommen kann (Knobloch, 1990, 67) – an diese Definition anknüpfend wird in dieser Arbeit untersucht, ob zu den bekannten neue Konnotationen hinzugekommen sind. Von besonderem Interesse ist bei der Untersuchung, ob sich der im politischen Streit erhobene Vorwurf der Ökonomisierung von Bildung als Konnotation feststellen lässt.
Diese Arbeit geht davon aus, dass es eine klassische Konnotation von Bildung, die sich mit dem Namen Humboldt verbindet, und den Bildungsbegriff der Wissensgesellschaft gibt. Die Konnotationen dieser beiden Bildungsbegriffe unterscheiden sich derart, dass sie als die beiden Pole des Gesamtdiskurses verstanden werden. Beide Bildungsbegriffe werden mithilfe der Diskursanalyse herausgearbeitet. Die Konnotationen der weiteren Diskurse, etwa um Bologna (Kapitel 6), den Hamburger Schulstreit, die Affäre Guttenberg (Kapitel 7) und um den Qualifikationsrahmen (Kapitel 8) werden zwischen diesen beiden Polen eingeordnet.