Das Ziel der Arbeit war, den Einfluss einer Hochtemperaturermüdung auf Hochtemperaturversprödungen zu untersuchen. Dafür wurden die 475°C-Versprödung eines austenitischferritischen Duplexstahls und die dynamische Versprödung einer Nickelbasislegierung als Mechanismen ausgewählt.
Die 475°C-Versprödung tritt durch eine thermisch aktivierte Entmischung der ferritischen Phase auf, wodurch der Werkstoff verfestigt. Hingegen führt eine zyklische plastische Verformung zur verformungsinduzierten Auflösung der Entmischung mit dem Ergebnis einer Entfestigung. Ermüdungsversuche mit verschiedenen Frequenzen und Beanspruchgsamplituden bei Raumtemperatur und 475°C an Duplexstahl in verschiedenen Vorversprödungszuständen zeigen, dass bei 475°C-Ermüdung die voranschreitende 475°C-Versprödung und die verformungsinduzierte Auflösung zwei entgegenwirkende aber eigenständige Mechanismen sind. Es hängt von der Versuchsfrequenz, -amplitude und der Temperatur ab, welcher Mechanismus stärker auftritt. Durch eine Auswertung der Ermüdungsversuche mit dem Modell der Streckgrenzenverteilungsfunktion konnte das Ermüdungsverhalten für beide Werkstoffphasen getrennt untersucht werden. Das globale Ermüdungsverhalten wird für die geprüften Versuchsbedingungen primär von der ferritischen Phase bestimmt.
Nach der Modellvorstellung der dynamischen Versprödung führt eine Zugspannung bei hoher Temperatur zu einer Sauerstoffkorngrenzendiffusion, wodurch der Werkstoff schnell interkristallin versagt, während unter Vakuumbedingung ohne Sauerstoffdiffusion ein langsames transkristallines Versagen vorliegt. Zur Untersuchung der dynamischen Versprödung wurden Rissausbreitungsversuche bei 650°C mit verschiedenen Ermüdungsfrequenzen bzw. Haltezeiten bei maximaler Spannung durchgeführt. Aufbauend auf den Ergebnissen muss die Modellvorstellung der dynamischen Versprödung um den Einfluss der zyklischen plastischen Verformung erweitert werden. Durch eine Haltezeit bildet sich eine Schadzone vor der Rissspitze, bestehend aus einer Sauerstoffdiffusionszone, aus, die durch die Ermüdung zwischen zwei Haltezeiten aufbricht. In einem Modell konnte der Anteil interkristallinen Versagens (durch die dynamische Versprödung) und der Anteil transkristallinen Versagens (Ermüdungschädigung) mit den jeweiligen Bruchflächenanteilen korreliert werden.