Unternehmerinnen und Unternehmer sind so unterschiedlich wie ihre Firmen. Ihr Erfolg am Markt ist teilweise durch ihre Persönlichkeit und ihre demografischen Merkmale bestimmt. Ein individuelles Merkmal kann dabei eine „Behinderung“ sein – und auf dieses fokussiert sich die vorliegende kumulativen Dissertation. Die Rolle von Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben hat durch das „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion an Bedeutung gewonnen. Daher ist das Thema hochrelevant, insbesondere vor dem Hintergrund eines selbstbestimmten Lebens mit der Möglichkeit zur Wahl der Erwerbsform: also entweder als abhängig Erwerbstätige zu arbeiten oder selbständig tätig zu werden in Form einer Unternehmensgründung.
Ein Einstieg ins Unternehmertum kann für Menschen mit Behinderung Vorteile bieten: Eine größere zeitliche Flexibilität, weniger Herausforderungen mit den Kolleginnen und Kollegen sowie auch ein Weg in den Arbeitsmarkt, wenn sich keine Alternativen ergeben. Die vorliegende Promotion analysiert die Situation von Unternehmerinnen und Unternehmern mit Behinderung in Deutschland anhand von zwei quantitativen Analysen und einer Analyse der vorhandenen Literatur zur Thematik. Die Merkmale „Behinderung“ im rechtlichen Sinne und „Gesundheit“ in der Eigenwahrnehmung von Unternehmerinnen und Unternehmern werden dabei gesondert und kombiniert betrachtet. Das ist wichtig, denn der spezifische Kontext, den Menschen mit Behinderung in Deutschland vorfinden, könnte sie in der Berufswahl beeinflussen.
„Behinderung“ ist in dieser Hinsicht keinesfalls ein fester Begriff, sondern hat medizinische, rechtliche und soziologische Bedeutungen – Hintergründe, welche die zitierten Studien in der Arbeit aufzeigen. Sogenannte Nachteilsausgleiche, wie zusätzlicher Urlaub, ein erweiterter Kündigungsschutz oder kostenlose Hilfsmittel, können Menschen gewährt werden, wenn sie eine Anerkennung einer Behinderung in Deutschland beim Versorgungsamt beantragen. Der relevante Indikator für die Bewilligung ist der anerkannte Grad der Behinderung (GdB). Regressionsanalysen mit dem repräsentativen Mikrozensus Datensatz unter Berücksichtigung dieses GdB zeigen auf: In Deutschland hat eine Behinderung einen signifikant negativen Einfluss auf die Chance eines Menschen selbstständig zu sein. Auf mögliche Gründe hierfür geht die Dissertation ein.
Das Alter der Individuen spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. So ist zu unterscheiden zwischen Menschen, die bereits mit einer Behinderung geboren werden oder in jungen Jahren damit konfrontiert sind und solchen, die erst mit steigendem Alter von einer Behinderung betroffen werden. Viele junge Menschen mit Behinderung werden bereits während ihrer Schulzeit besonders gefördert und sind so nicht immer Teil des regulären Schulsystems. Dies kann starken Einfluss auf die weiteren Bildungswege und Erwerbswahl haben. Hingegen durchlaufen Individuen, die erst spät mit einer Behinderung konfrontiert werden, die regulären Bildungswege und üben oft bereits jahrelang auch ihren Beruf aus. Mit dem Alter steigt dann die Anzahl der Menschen mit Behinderung in einer Altersgruppe in Deutschland an und ihre Zusammensetzung verändert sich. Viele Fachkräfte oder Menschen mit Führungsfunktion mit Berufserfahrung erwerben eine Behinderung erst in diesem Status des Erwerbslebens. Dies lässt vermuten, dass dann eine Erwerbsentscheidung anders entschieden wird. Regressionsanalysen in der Arbeit zeigen (allerdings), dass in beiden betrachteten Altersgruppen (25 bis 44 Jahre und 45 bis 64 Jahre) eine Behinderung einen signifikant negativen Einfluss auf die Chance eines Menschen selbstständig zu sein hat. In vielen anderen Ländern sind Menschen mit Behinderung häufiger selbstständig als Menschen ohne Behinderung. Die Ergebnisse der Promotion zeigen jedoch: Deutschland ist hier eine Ausnahme.
Ein blinder Fleck der Analyse ist die Form der Behinderung, da nur wenige quantitative Daten für eine Unterscheidung des Einflusses verschiedener Formen vorhanden sind. Das Narrativ „psychische Behinderung und „Unternehmertum“ ist in den letzten Jahren vermehrt in der öffentlichen Berichterstattung gewesen, nicht zuletzt auf Grund des Selbstmordes einiger bekannter Unternehmer. Die zitierte Literatur zeigt wie schwierig das Phänomen „psychische Behinderung“ zu greifen ist. In einem Literaturreview werden Studien diskutiert, die auf der persönlichen aber auch der gesellschaftlichen Ebene sowohl Chancen als auch Barrieren für eine Person mit einer psychischen Behinderung aufzeigen Unternehmer bzw. Unternehmerin zu werden. Ein Schwerpunkt wird dabei auf den deutschen Kontext gelegt und ein originäres Modell zur Berufswahl von Unternehmern mit psychischer Behinderung wird dargestellt. Das Ergebnis ist keinesfalls eindeutig und ein Zeichen dafür, dass weitere Forschung in diesem Bereich notwendig ist.
Das Merkmal „Gesundheit“ wird in Analysen manchmal als latente Variable zu Behinderung verwendet. In einer abschließenden multivariaten Analyse zeigt sich, dass der negative Einfluss des Merkmals „Behinderung“ auf die Wahrscheinlichkeit eines Individuums selbstständig zu sein konstant bleibt, wenn das Merkmal „Gesundheit“ zusätzlich in die Analyse miteinfließt. Gleichwohl wird die Eintrittswahrscheinlichkeit in das Unternehmertum vorrangig von dem Merkmal „Gesundheit“ bestimmt, die Austrittswahrscheinlichkeit wiederum von dem Merkmal „Behinderung“. Daraus folgt: In Deutschland sind beide Begriffe unterschiedlich auf ihre Auswirkung auf Unternehmerinnen und Unternehmer zu betrachten.
Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und allgemeinen Empfehlungen, welche weiteren Forschungslücken in Angriff genommen werden und welche Ableitungen für die Praxis getroffen werden können.