TY - THES AB - In den Jahren 1874/75 wurden in Deutschland und Spanien Zentralnotenbanken eingeführt und zu diesem Zweck umfangreiche Notenbankgesetze erlassen. Auf welche politischen und ökonomischen Interessen, geldtheoretischen Paradigmen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen gingen diese Bankgesetze zurück? Welche institutionellen Vorbilder gab es und unter welchen Alternativen konnte gewählt werden? Welche Erfahrungen wurden mit dem bisherigen System regionaler Monopole gemacht? Welche Rolle wurde den Zentralnotenbanken zugedacht? Mit welcher Organisation, Rechtsform und Geldpolitik sollten diese Ziele erreicht werden? Entsprach die Praxis der Geldpolitik auch der normativen Vorgabe? Zur Beantwortung dieser Fragen stehen die Entscheidungs- und Verfügungsrechte, die Elastizität des Geldangebots, die Verlässlichkeit des Rechtssystems und der institutionelle Wandel des Notenbanksystems im Vordergrund. Zentralbanken werden auf der Basis eines institutionenökonomischen Modells von Curzio Giannini weder real- noch idealtypisch als isolierte Einheiten betrachtet sondern als Knotenpunkt konträrer Interessen analysiert. In Deutschland wurde mit dem Bankgesetz von 1875 ein semizentralistisches Notenbanksystem installiert, dessen wichtigstes Merkmal die Gründung der Reichsbank war. Die Reichsbank stand als private Aktiengesellschaft unter ausschließlich staatlicher Leitung an der Spitze dieses Systems und war das Ergebnis eines Kompromisses privater, fiskalischer und öffentlicher Interessen. Die Reichsbank war als Instrument gedacht, um das deutsche Notenbanksystem in einem 15 jährigen Übergangs- und Bewährungsprozess in ein monopolistisches Zentralnotenbanksystem zu überführen. Grundelemente ihrer Organisation, Ordnungs- und Prozesspolitik entsprachen der zeitgenössischen Auffassung vom Eisenbahnsystem. Anhand bisher unbekannter Dokumente wird gezeigt, dass das Bankgesetz zur Gründung der Reichsbank auf die Planungen der liberalkonservativen Ministerialelite des Kaiserreichs zurückging. Mit der Reichsbank sollte das inländische Wachstum befördert, der Anschluss an den englischen Goldstandard garantiert und der Übergang zum Buchgeld beschleunigt werden. Um den Geldwert bei wechselnder Geldnachfrage zu sichern wurde der Reichsbank zwar eine elastische Geldangebotspolitik erlaubt, diese aber an ein strenges Normensystem gebunden. Diese Regeln waren der zeitgenössischen Banking- und Currencytheorie entnommen und entsprachen dem Paradigma der Newtonschen Physik. Durch die Übertragung dieser Vorschriften in mathematische Funktionen wird der Handlungsspielraum des Bankvorstands ermessen, dem nach Gesetzeslage eigentlich nur eine administrative Funktion zukam. Es gelang dem Bankvorstand aber, diese Vorschriften im Sinne einer pro-zyklischen Konjunkturpolitik legal zu umgehen. In Spanien wurde 1874 ein bankingtheoretisches Modell nach französischem Muster eingerichtet. Die neue Zentralbankverfassung leitete den Richtungswechsel zum liberalkonservativen Zentralstaat ein. Im Gegensatz zum französischen Vorbild wurde der Regierung nahezu unbegrenzter Staatskredit eingeräumt und es der Bank als privater Aktiengesellschaft ermöglicht, ihre Gewinne zu optimieren. Im Rahmen sozioökonomischer Entwicklungsverläufe wird das institutionelle Netzwerk aufgezeigt, in dem Regierung, Staatsnotenbank und Provinznotenbanken seit Mitte des 19. Jahrhunderts agierten. Anhand makroökonomischer Koordinaten und einer erstmalig unternommenen mikroökonomischen Innenperspektive wird nachgewiesen, aufgrund welcher Sichtweisen und Alternativen es schließlich zum Bankdekret von 1874 kam. Der schwebende Rechtscharakter des Bankdekrets führte zu massiven Widerständen seitens der Provinznotenbanken. Aus der Differenz zwischen gesetzlicher Norm und organisatorischem Vollzug werden die Transaktionskosten konfiguriert, die den Übergang zu einem effizienten Zentralbanksystem erschwerten. AU - Schreiner, Ludwig DA - 2006 KW - Zentralbanken KW - Reichsbank KW - Bank von Spanien LA - ger PY - 2006 TI - Liberale Regulierung: die Gründung der deutschen Reichsbank und der Bank von Spanien als Zentralnotenbanken 1874/75 UR - https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:467-2144 Y2 - 2024-11-23T13:42:02 ER -