Puppen in Bedrohungsszenarien – so lautet der Themenschwerpunkt der ersten Ausgabe der interdisziplinären online-Zeitschrift "denkste: puppe / just a bit of: doll" zu Mensch-Puppen-Diskursen (Akronym: de:do). Die Bezeichnung ‚Puppe’ steht dabei für anthropomorphe ,Wesen’ und Artefakte in all ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen und der Begriff der Bedrohung wird hier weit gefasst. Ausgangspunkt der Entscheidung für diesen Fokus war die Annahme, dass Puppen und puppenaffinen Artefakten sowohl in Zeiten existenzieller Bedrohung als auch in Phasen innerpsychischer Beunruhigung und Irritation eine besondere Bedeutung zukommt. Die hier einbezogenen Beiträge stammen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen und eröffnen in der bewusst nicht disziplinär ausgerichteten Zusammenstellung reizvolle multiperspektivische Mensch-Puppen-Diskurse. Dabei sind nicht nur die hier angesprochenen Themenbezüge, sondern auch die jeweiligen methodischen Zugänge ausgesprochen heterogen. So werden Puppen-Narrative aufgegriffen, die beispielsweise innerhalb der Literaturwissenschaft an die lange Tradition von Puppen-Erzählungen anknüpfen, aber auch solche, die aktuell in den Diskursen über Zukunftsszenarien und neue Technologien mittels verschiedener medialer Formate und/oder künstlerischer Aktionen für Diskussionsstoff sorgen.
Ein erster thematischer Fokus liegt auf der Bedeutung von Puppen im Zuge der Erfahrung von Bedrohung und Verlusten im Kontext von Krieg, Flucht und Verfolgung in politisch unsicheren Zeiten. Hier werden aus verschiedenen fachdisziplinären Perspektiven unterschiedliche Facetten von Bedrohungsszenarien angesprochen. So geht es aus theaterwissenschaftlicher Sicht um zwei Inszenierungen aus dem Bereich des Objekt- und Materialtheaters, in denen bedrohliche Kriegsdarstellungen mittels Plastikpuppen bzw. amorphen Materials aufbereitet werden. Aus psychologischer Perspektive kommen Rollen und Funktionen von Puppen als Übergangsobjekte im Kontext von Umbrüchen, Krieg und Gewalt zur Sprache. In zwei literaturwissenschaftlichen Beiträgen wird jeweils ein Roman aus der Kinder- und Jugendliteratur analysiert, in denen in einem Fall eine Puppe zur psychischen Stabilisierung der literarischen Protagonistin beiträgt und im anderen Fall das Schicksal der Puppe die Geschichte von Abschied und letztendlicher Vernichtung ihrer Besitzerin erzählt und symbolisiert. Und schließlich geht es um den Stellenwert von Puppen und Teddys in verschiedenen Kinderzeitschriften, die – in den politisch unsicheren Zeiten zwischen und nach den beiden Weltkriegen – Identifikationsfiguren und Interaktionspartner für Kinder sein können.
Ein zweiter Fokus thematisiert Puppen und ihre Narrative im Kontext verschiedener aversiver Erfahrungen sowie in Zeiten psychischer Irritation. So geht es zum einen um die literaturwissenschaftliche Sicht auf die Bedeutung und Wirkung von Puppen in zwei ‚klassischen’ Puppenerzählungen: „"Nussknacker und Mausekönig" von E.T.A. Hoffmann und "Romeo und Julia auf dem Dorfe" von Gottfried Keller. Zum anderen werden in verschiedenen Beiträgen Entgrenzungs-, Transformations- und Identitätsfragen in Mensch-Puppen-Bezügen aus medien- und kunstwissenschaftlicher sowie kinderliterarischer Perspektive angesprochen, in denen Puppen in Gestalt von Androiden, Kunstwesen oder anthropomorphen Figuren agieren und dabei selber Irritationen auslösen oder Versuche darstellen, Antworten auf beunruhigende Fragen zu finden.
Über den Themenschwerpunkt hinaus finden sich zudem eine Reihe weiterer Beitragsformen zu verschiedenen puppenbezogenen Themen und Praxen, die noch einmal das breite Spektrum unterschiedlicher Puppen-Narrative und Zugangsformen dokumentieren: So beschäftigt sich ein freier Beitrag mit dem Puppenspiel als strukturiertes Therapieangebot für Kinder, bei den Miszellen findet sich eine Skizze zu Marlene Dietrich und ihren Puppen sowie ein kurzer Essay zu einer biographischen Erinnerung, ein Interview mit der Begründerin des Berliner Puppentheaters bubales veranschaulicht Möglichkeiten der dramatischen und poetischen Umsetzung von Puppen-Themen, im Diskussionsforum wird ein kritischer Blick auf "Barbie als Diskursmaschine" geworfen und eine Rezension zum Ausstellungskatalog "From Her Wooden Sleep von Ydessa Hendels" lotet Chancen und Grenzen der künstlerischen Arbeit mit Puppen-Artefakten aus.