Unterschiedliche Praktiken des Herrschergedenkens bei christlichen und islamischen Herrschern gehen auf den jeweiligen Entwicklungsstand der „transzendentalen Logik“ zurück, d. h. auf die jeweiligen Annahmen über Möglichkeiten, transzendente Phänomene durch religiöse Praktiken zu beeinflussen. Zu berücksichtigen ist auch der unterschiedliche Ausprägungsgrad von Institutionen: Im Frankenreich existierten in spätantiker Tradition Klöster, die als Grablegen genutzt werden konnten. In frühislamischer Zeit gab es vergleichbare Institutionen nicht; erst später bildeten sich mit den Madrasas Institutionen heraus, die von einer Gemeinschaft getragen wurden und somit die Aufsicht über dort erfolgte Bestattungen übernehmen konnten. Erst die Grabmadrasa schuf die Voraussetzung für kontinuierliches Herrschergedenken, das sich als „soziale Institution“ bezeichnen lässt. Es zeigt sich, dass Formen der Erinnerung an Verstorbene keineswegs anthropologische Konstanten sind, sondern dass jeweils der kulturelle und religiöse Kontext zu berücksichtigen ist. Im Islam entwickelten sich solche Praktiken erst spät, mutmaßlich unter der Einwirkung außerislamischer Vorstellungen, die allerdings, wie in der klassischen islamischen Kultur üblich, unter der Hand islamisiert wurden. Der Blick auf kulturelle Unterschiede kann dabei helfen, die Verabsolutierung von Praktiken der jeweils eigenen Kultur zu vermeiden und zu einer differenzierteren Sicht der historischen Entwicklung zu gelangen.
Titelaufnahme
- TitelHerrschergedenken bei den Karolingern und Abbasiden
- Verfasser
- Erschienen
- ProvenienzDie Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Böhlau Verlag GmbH & Co.KG.
- SpracheDeutsch
- Bibl. ReferenzScholz, Sebastian; Schwedler, Gerald; Sprenger, Kai-Michael (Hrsg.): Damnatio in Memoria : Deformation und Gegenkonstruktion in der Geschichte. Köln u.a. : Böhlau Verlag, 2014, S. 243-263. (Zürcher Beiträge zur Geschichtswissenschaft ; 4), ISBN 978-3-412-22283-3
- DokumenttypAufsatz in einem Sammelwerk
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Different practices of commemorating Christian and Islamic rulers are due to different stages of development of the respective „transcendental logic“, i.e. assumptions regarding the possibility to influence transcendental phenomena by religious performance. It is also important to note the different degree of institutionalization: In the Frankish world, there were – as in late antiquity – monasteries that could be used for royal burials. In early Islam there were no comparable institutions. It was only later that the institution of madrasas developed, which were sustained by communities that could also care for burials. The institutionalized madrasa provided the precondition for ongoing practices of commemorating dead rulers. The comparison shows that practices commemorating the dead should not be taken for granted; their development depended on the respective cultural and religious context. In Islam, such practices emerged only at a later stage, possibly influenced by non-Islamic customs, which were tacitly islamicized, as was usual in classical Islamic culture. Pinpointing cultural differences can help to avoid generalizing developments in one’s own culture, clarifying the reasons of different developments.
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