Die einstige Euphorie auf eine Demokratisierung der Staaten des „Arabischen Frühlings“ ist nach den jüngsten Entwicklungen in Libyen oder Ägypten getrübt. Einzig Tunesien gilt nach wie vor als hoffnungsvoller Kandidat für eine erfolgreiche demokratische Konsolidierung. Verstärkt wird dieser Enthusiasmus durch die Verabschiedung der neuen Verfassung im Januar 2014, die erstmals und einzigartig im arabischen Kontext, Menschen-, Freiheits- und Grundrechte gewährt, sowie die Gleichstellung der Geschlechter sichert. Fraglich ist jedoch, ob die Ratifizierung einer –zumindest formal betrachtet – demokratischen Verfassung auch zur Entwicklung einer demokratischen politischen Gesellschaft führt, die für die Beseitigung autoritärer und hybrider Strukturen notwendig ist. Um also Aussagen zum demokratischen Potential der tunesischen Verfassung machen zu können, müssen sowohl die Verfassungsrealität als auch ihre gesellschaftlichen und politischen Bedingungen hinterfragt werden.