Es wird untersucht, welche Bedeutung einer bestimmten Wirkung des Kindes auf seine Eltern - seiner "Ressourcivität" - im Hinblick auf seine eigene Entwicklung zukommt. Mit Kind-Ressourcivität ist gemeint, inwieweit das Kind seinen Eltern alltägliche emotionale Ressourcen gewährt, indem es z.B. Dinge tut oder sagt, die bei den Eltern Freude auslösen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass es sich lohnt, Mutter oder Vater gerade dieses Kindes zu sein. Dabei wird angenommen, dass die Erfahrung solcher emotionaler Gratifikationen es den Eltern wesentlich erleichtert, dem Kind gegenüber ein optimal entwicklungsförderliches Erziehungsverhalten umzusetzen.
Es wird ein lineares Strukturgleichungsmodell (LISREL) entwickelt und überprüft, das das elterliche Verhalten zugleich als Bedingungsfaktor der kindlichen Sozialisation und als Ergebnis familialer Umweltbedingungen auffasst. Das Elternverhalten wird also sowohl auf seine Abhängigkeit von familialen Prädiktorvariablen als auch auf seine Auswirkungen für die kindliche Entwicklung hin untersucht. Das Modell enthält demzufolge Variablen auf drei funktionalen Ebenen, nämlich der Prädiktor-, der Mediator- und der Ergebnisebene. Als Prädiktorvariablen wurden die Kind-Ressourcivität, die Qualität der elterlichen Ehebeziehung, die psychische Befindlichkeit der Eltern sowie der sozioökonomische Familienstatus ausgewählt. Das Elternverhalten wird als Mediatorvariable aufgefasst, die maßgeblich bestimmt, ob und wie sich die familialen Prädiktoren auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Es werden drei Dimensionen des Elternverhaltens - Unterstützung, psychologische Kontrolle und Verhaltenskontrolle - berücksichtigt. Als Indikatoren kindlicher Kompetenz werden das Selbstwertgefühl sowie das Selbstkonzept für die intellektuelle Leistungsfähigkeit des Kindes herangezogen.
Die Stichprobe umfasst N=315 Familien, wobei sich jede Familie mindestens aus einem Kind im Alter zwischen 10 und 12 Jahren und beiden Elternteilen zusammensetzt. In jeder Familie wurden der Vater, die Mutter und das Zielkind befragt, so dass pro Familie drei Datenquellen nutzbar gemacht werden konnten. Die familialen Prädiktorvariablen wurden bei jeweils beiden Elternteilen, das Elternverhalten und die Entwicklungsindikatoren dagegen beim Zielkind erhoben.
Die Hauptergebnisse sind: (I) Kind-Ressourcivität, psychische Befindlichkeit der Eltern und sozioökonomischer Familienstatus erweisen sich als geeignete Prädiktoren des Elternverhaltens, die unabhängig voneinander spezifische Erklärungsbeiträge für die Elternverhaltensdimensionen "Unterstützung" und "psychologische Kontrolle" leisten. (II) Die Elternverhaltensdimensionen "Unterstützung" und "psychologische Kontrolle" leisten jeweils eigene Erklärungsbeiträge zur Entwicklung der kindlichen Kompetenz, wobei sich Unterstützung positiv, psychologische Kontrolle dagegen negativ auswirkt. (III) Die familialen Prädiktorvariablen wirken indirekt auf die kindliche Entwicklung, ihr Einfluss kann nahezu vollständig auf die vermittelnde Funktion des Elternverhaltens zurückgeführt werden.
Diese Ergebnisse bestätigen die Bedeutung des Elternverhaltens für die kindliche Entwicklung, stellen aber zugleich die Abhängigkeit des Elternverhaltens von den familialen Prädiktoren in den Blickpunkt. Besonders auffällig ist dabei der hohe Erklärungswert der Kind-Ressourcivität, einem bislang weitgehend unbeachtet gebliebenen Prädiktor: Insbesondere die emotionale Unterstützung, die Kinder durch ihre Eltern erfahren, hängt entscheidend davon ab, inwieweit auch die Eltern von ihrer Beziehung zum Kind emotional profitieren. Hier zeigt sich, dass der Transfer emotionaler Unterstützungsleistungen von den Eltern zum Kind nur dann optimal funktioniert, wenn zugleich ein entsprechender Rückfluss in der Gegenrichtung stattfindet. Indem das Kind für seine Eltern eine entsprechende Ressource darstellt, trägt es erheblich zur Qualität des elterlichen Erziehungsverhaltens bei und begünstigt damit die Chancen seiner eigenen Entwicklung.