Täglich kommunizieren Menschen mit einer Vielzahl von anderen Personen und stellen sich dabei immer wieder neu und spontan auf den jeweiligen Gesprächspartner ein. Hierbei berücksichtigen sie sowohl persönliche Merkmale ihres Empfängers, wie dessen Hintergrundwissen oder Einstellung zum Kommunikationsgegenstand, als auch situative Faktoren. Eine solche Anpassung der Kommunikationsinhalte an den Gesprächspartner wird adressatenorientierte Kommunikation genannt und kann dazu führen, dass sprecherseitige Gedächtnisrepräsentationen zum Kommunikationsgegenstand gleichsinnig beeinflusst werden. Einer klassischen Studie von Higgins und Rholes (1978) zufolge wird dieser Effekt nicht durch die bloße Kenntnis der Adressateneinstellung ausgelöst, sondern erst durch aktive Kommunikationsbeiträge. Jedoch zeigen frühere Studien (Schramm & Danielson, 1958; Zimmermann & Bauer, 1956) durchaus solche Effekte ohne aktive Kommunikation.
Ein theoretischer Ansatz, der diese kontrovers erscheinenden Befunde zu integrieren vermag, stellt die Theorie der sozialen Realitätsbildung dar. Soziale Realitätsbildung beschreibt den Prozess, durch den Menschen sich gemeinsam mit anderen eine subjektiv zuverlässige und valide Repräsentation von der Umwelt und sich selbst verschaffen. Zahlreiche Befunde konnten bereits die maßgebliche Rolle der senderseitig erlebten sozialen Realitätsbildung bei Effekten adressatenorientierter Kommunikation belegen. So widmete sich die vorliegende Arbeit nun der Untersuchung dieser Einflussgröße auf Erinnerungseffekte ohne vorausgegangene Kommunikation.
Eine soziale Realitätsbildung erscheint nicht mit jedem beliebigen Kommunikationspartner in gleichem Maße möglich, sondern hängt vielmehr von der Gruppenzugehörigkeit der involvierten Personen ab. So findet eine soziale Realitätsbildung vor allem mit Menschen statt, zu denen in Bezug auf wichtige Merkmale, wie soziale Herkunft, Geschlecht oder Einstellung eine hinreichend große Ähnlichkeit besteht. In diesem Sinne belegen neuere Studien zu Effekten adressatenorientierter Kommunikation im Intergruppenkontext, dass Sender Angehörige einer Fremd- vs. Eigengruppe nicht als geeignete Co-Konstrukteure einer sozialen Realitätsbildung ansehen und daher deren Sichtweise nicht in ihre eigenen Repräsentationen zum Kommunikationsgegenstand übernehmen. Diese Befunde liefern nicht nur einen wichtigen Beleg für den Stellenwert der Theorie der sozialen Realitätsbildung bei Effekten adressatenorientierter Kommunikation, sondern eröffnen gleichzeitig die Möglichkeit für weitere Forschungen auf diesem Themengebiet. So war es Ziel der vorliegenden Arbeit, das Zusammenspiel von interpersonellen Faktoren in der Interaktion mit Fremdgruppenangehörigen und kommunikativen Prozessen bei der Gedächtnisbeeinflussung näher zu beleuchten.