Innerhalb der letzten Jahre gab es ein zunehmendes Interesse der Neurowissenschaften an der Ätiologie autistischer Störungen. Es handelt sich dabei um eine sehr heterogene Symptomgruppe, die sich im Wesentlichen durch drei Kardinalsymptome auszeichnet: eine Störung der sozialen Interaktion, eine Störung der Kommunikation sowie stereotype Verhaltensmuster und Interessen. Trotz unterschiedlicher theoretischer Erklärungsansätze gibt es noch kein einheitliches Modell zur Entstehung von Autismus. Demgemäß ist Autismus bislang ein rein auf der Basis von Verhaltenssymptomen definiertes Störungsbild, ohne einen eindeutigen Phänotyp. Zur Erklärung der bei Autismus beobachteten Auffälligkeiten gibt es insbesondere drei prominente Ansätze: Theory of Mind (ToM); Defizit der Exekutivfunktionen (EF) und die Theorie der schwachen zentralen Kohärenz (SZK). Eine ganze Reihe an Befunden deutet darauf hin, dass es bedeutsame Gemeinsamkeiten zwischen Autismus und anderen neuropsychiatrischen Erkrankungen gibt, wie zum Beispiel der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Obwohl es sich um zwei distinkte Störungsbilder handelt, sind sie diagnostisch nicht immer eindeutig voneinander zu trennen. Ein besseres Verständnis der Ursachen setzt jedoch eine zuverlässige diagnostische Differenzierung, zum Beispiel anhand neurokognitiver Leistungsprofile, voraus.
Die vorliegende Arbeit verfolgt daher folgende Ziele: Erstens die Spezifität der neurokognitiven Defizite von Kindern und Jugendlichen mit Asperger-Autismus bzw. High-functioning Autismus anhand der drei theoretischen Modellvorstellungen genauer zu untersuchen. Dies geschieht im Vergleich zu einer klinischen Kontrollgruppe mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und einer Gruppe gesunder Kinder und Jugendlicher. Vor dem Hintergrund der teilweise noch sehr widersprüchlichen Befundlage in Bezug auf Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede von Autismus und ADHS erhoffen wir uns zweitens Aufschluss über den komorbiden Zusammenhang der beiden neuropsychiatrischen Krankheitsbilder. Drittens werden neurophysiologische Indikatoren für die Theorie der schwachen zentralen Kohärenz mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) untersucht, um detailliertere Informationen über mögliche ätiologische Faktoren autistischer Störungen zu bekommen. Die Ergebnisse werden im Kontext der aktuellen strukturellen und funktionellen Befunde zum Autismus diskutiert.
Die Umsetzung der beiden behavioralen Studien erfolgte mit Hilfe verschiedener neuropsychologischer Testverfahren, die jeweils in Anlehnung an die theoretischen Modellvorstellungen ausgewählt wurden. Darüber hinaus wurde ein Paradigma speziell zur Überprüfung der SZK-Theorie entwickelt, das unter anderem auch im Rahmen der funktionellen Bildgebungsuntersuchung eingesetzt wurde.
Die Befunde sprechen dafür, dass es eine ganze Reihe neuropsychologischer Gemeinsamkeiten zwischen Autismus und ADHS gibt. So zeigen beide klinischen Gruppen Beeinträchtigungen im Bereich der kognitiven Flexibilität und der Inhibition. Die gefundenen Defizite der ADHS-Kinder bei der emotionsbezogenen Gesichtererkennung sprechen gegen die Annahme einer autismusspezifischen Beeinträchtigung. Bei der SZK hingegen scheint es sich um einen für Autisten typischen kognitiven Verarbeitungsstil zu handeln, was sich neurophysiologisch in Form einer erhöhten neuronalen Aktivität im frühen visuellen Kortex untermauern lässt.