Neuroplastizität, die Fähigkeit des Gehirns, auf umweltbedingte und intrinsiche Stimulation zu reagieren, ist eine Grundvoraussetzung für eine adaptive Strukturentwicklung. Eines ihrer ungewöhnlichsten Beispiele ist die Neurogenese - die Bildung neuer Nervenzellen - im adulten Hippokampus. Die Untersuchung der postnatalen Entwicklung der Neuroplastizität im Hippokampus und ihrer Abhängigkeit von einer stimulierenden Umwelt war das Ziel der vorliegenden Arbeit. Das Hauptaugenmerk lag dabei auf den regulatorischen Mechanismen sowohl auf der lokalen Ebene als auch auf der Ebene des gesamten limbo-präfrontalen Systems.
Als erstes fanden wir heraus, dass CD1-Mäuse, die unter Deprivation von einer stimulierenden, sozialen und physikalischen Umwelt aufgezogen wurden, sich in ihren Zellproliferations- und Zellüberlebensraten nicht von ihren angereichert aufgezogenen Artgenossen unterschieden. Jedoch führte eine Laufradintervention nur in depriviert aufgezogenen Tieren zu einem signifikanten Anstieg der Zellproliferation und des Zellüberlebens (Projekt I). Diese unterschiedliche Reaktivität der Neurogenese wurde durch lokale (neurotrophe Faktoren und Wachstumsfaktoren, Transmittereinflüsse) sowie systemische Mechanismen zu erklären versucht, und es wurde ein hypothetisches Modell unter Einbeziehung des gesamten limbo-präfrontalen Systems vorgeschlagen (Projekt II). Wie die Neurogenese, so wurde auch der synaptische Umbau (Projekt III) nicht durch soziale und physische Deprivation während der Aufzucht beeinträchtigt. Laufradlaufen beeinflusste den synaptischen Umbau jedoch unabhängig von den Aufzuchtbedingungen, indem es die lamina-spezifische Verteilung einebnete.
Um die Hypothese zu überprüfen, dass die Reifung des präfrontalen Kortex für die veränderte Neuroplastizität mitverantwortlich ist, wurde ein Ansatz mit Laufradlaufen als einem Stimulus der Zellproliferation und anschließender Umweltanreicherung oder einer Präfrontalkortex-abhängigen Arbeitsgedächtnisaufgabe in einem automatisierten T-Labyrinth eingesetzt, um die Aktivität im präfrontalen Kortex zu erhöhen (Projekt IV). Wir konnten in der Tat zeigen, dass der präfrontale Kortex kausal an der Regulation der Zellproliferation im Gyrus dentatus beteiligt ist.
Schließlich zeigte ein Stammesvergleich innerhalb der Spezies Mus musculus domesticus (Projekt V), dass die umweltbedingte Plastizität zwischen Auszucht-CD1-Mäusen und Inzucht-C57Bl/6-Mäusen ähnlich ist. Im Gegenteil dazu wurde in wilden Hausmäusen weder ein Effekt der Umweltdeprivation während der juvenilen Gehirnentwicklung noch des Laufradlaufens im Erwachsenenalter auf die Zellproliferation gefunden.
Die vorliegende Arbeit liefert Anhaltspunkte dafür, dass Umweltstimulation während der jugendlichen Gehirnentwicklung die neuroplastischen Potentiale zumindest im adulten Hippokampus domestizierter Mausstämme determiniert. Die Reaktivität der Neuroplastitzität scheint jedoch eine Folge von genetischen Modifikationen durch Domestikation und darüber hinaus auch in domestizierten Mäusen eine Folge der Deprivation von natürlicher Umweltstimulation während der jugendlichen Gehirnentwicklung zu sein. Der präfrontale Kortex scheint kausal an der Regulation der Zellproliferation im hippokampalen Gyrus dentatus beteiligt zu sein. Diese Befunde lenken die Aufmerksamkeit auf einen systemischeren Blick der Regulation der Neuroplastizität im Hippokampus als einem Zusammenspiel von limbo-präfrontalen Schaltkreisen.