Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der postnatalen Entwicklung der primären Sehrinde von Katzen anhand der Ausreifung funktioneller Okulardominanzkolumnen und des Netzwerkes langreichweitiger intraarealer Faserverbindungen. Besondere Berücksichtigung fand dabei der Einfluss visueller Erfahrung und das postnatale Wachstum des Gehirns. Mit Hilfe der 2-Deoxyglukose-Autoradiographie konnten in der primären Sehrinde funktionelle Okulardominanzkolumnen im Alter von drei Wochen visualisiert werden. Im Alter von vier Wochen zeigte das kolumnäre Muster bereits seine adulte Ausprägung und damit zu einem Zeitpunkt, an dem die thalamokortikalen Afferenzen in der Eingangsschicht der primären Sehrinde noch überlappen. Aus diesen Befunden wurde geschlossen, dass räumlich strukturierte Aktivitätsmuster in der Sehrinde in der Lage sind, die anatomische Segregation der Afferenzen zu leiten. Ein früh induzierter Schielwinkel hatte keinen Einfluss auf die Kinetik der Kolumnenentwicklung. Entgegen früherer Befunde waren auch die Kolumnenabstände bei schielenden Tieren nicht verändert. Hierfür könnten eine hohe Variabilität bedingt durch genetische Komponenten oder der genaue Zeitpunkt des Einsetzens der modifizierten Seherfahrung verantwortlich sein. Die primäre Sehrinde von Katzen zeigt ein beachtliches Wachstum nach der Geburt. Zwischen der dritten und zehnten postnatalen Woche konnte eine mittlere Zunahme der Fläche der primären Sehrinde von 51 v.H. beobachtet werden. Knapp 75 v.H. dieses Zuwachses fanden dabei bereits bis zur sechsten Lebenswoche statt. Im gleichen Zeitraum änderte sich jedoch der Abstand der Okulardominanzkolumnen nicht. Es wird ein Modell vorgeschlagen, in dem durch die Segregation vorhandener Kolumnen neue Module entstehen, um die sich vergrößernde kortikale Fläche auszufüllen. Mit Hilfe der Magnetresonanztomographie konnte erstmals das postnatale Wachstum des Katzengehirns in einer Longitudinalstudie untersucht werden. Hierbei zeigte sich vor allem in der neokortikalen Oberfläche eine hohe interindividuelle Variabilität. Ein Vergleich mit den Messungen der primären Sehrinde zeigte, dass diese im Laufe der postnatalen Entwicklung durchgehend einen Anteil von etwa 15 v.H. an der Oberfläche des Neokortex hat.
Mit einer Kombination aus 2-Deoxyglukose-Autoradiographie und der Injektion fluoreszierender Latexmikrosphären wurde das Layout und die Selektivität langreichweitiger Horizontalverbindungen in der primären Sehrinde von vier und sechs Wochen alten Tieren analysiert und der Einfluss eines früh induzierten Schielwinkels untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass Horizontalverbindungen in der primären Sehrinde von normalsichtigen Katzen Neurone unterschiedlicher Augendominanz verbinden. Bei schielenden Katzen hingegen entwickelt sich eine Augendominanzselektivität durch den selektiven Abbau von Horizontalverbindungen. Dabei handelt es sich vermutlich um einen mehrwöchigen Prozess, da sich sowohl in der Anzahl, der Reichweite als auch der Selektivität signifikante Unterschiede zu normalsichtigen Tieren erst im Alter von sechs Wochen detektieren ließen.