Das Wohlergehen der Kinder kann von dem Wohlergehen der Familie bzw. der Eltern nicht getrennt werden, so dass das Kinderleben als ein Familienleben aufgefasst wird. Zwar spielt die traditionelle Familie im Sinne ‚Vater-Mutter-Kind‘ keine Rolle mehr als gesellschaftliches Vorbild, aber die verbindenden Verhältnisse zwischen Kindern und Erwachsenen in der Familie haben noch immer großen Einfluss auf das Kinderleben. Mit dem Wandel der Familie und veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Kindheit gerät die Familienkindheit in ein Spannungsfeld, in dem das Familienleben durch unterschiedliche Familienformen vielfältig geworden ist. Es wird aber in Bezug auf die strukturellen Rücksichtslosigkeiten gegen-über Kindern und deren Familien die elterliche Versorgungs- und Erziehungsverantwortung noch erschwert werden, die mit alltäglichen Anforderungen an die Familie und mit den ent-sprechenden pädagogischen Normen verbunden sind. Kindesvernachlässigung ist eine unangenehme Realität der heutigen Gesellschaft: Schätzungsweise sind 5 bis 10 % aller in Deutschland lebenden Kinder von Vernachlässigung betroffen. Außerdem kann man im Allgemeinen davon ausgehen, dass Kinder aus allen Altersgruppen und allen sozialen Schichten vernachlässigt werden. Die Schwierigkeit besteht darin, dass das Thema Kindesvernachlässigung die sensible Grenze zwischen Privatsphäre in der Familie und öffentlichen Interesse für das Wohl des Kindes sowie Schutz des Kindes berührt. Man kann also nicht genau bestim-men, wann bzw. wo die Grenze festgelegt wird. Wartet man jedoch darauf, bis das Kind in seinem Wohlergehen gefährdet wird, damit man als Dritte Person eingreifen kann, kann man davon ausgehen, dass das Kindeswohl schon vernachlässigt worden ist. Zwar lenkt Kindes-vernachlässigung als ein Gegenbild des Kindeswohls in erster Linie aufgrund sichtbarer oder äußerlicher Mängel bzw. Defizite beim Kind Aufmerksamkeit auf sich. Sie erscheint dabei nicht als eine Notlage des Kindes angesehen zu werden, falls dieser Mangelzustand nach kur-zer Zeit wieder beseitigt wird. “Vernachlässigt werden“ aus Sicht der Kinder ist jedoch nicht nur eine akute Gefährdung ihres Wohlergehens sondern kann auch auf diese Art und Weise als eine latent wirksam bleibende Strömung für ihr ganzes Leben angesehen und sogar durch Generationen weitergegeben werden, während die Hilfebedürftigkeit von Eltern ein aktuelles und akutes Problem bedeutet, das im Rahmen der Hilfen bzw. Unterstützungen womöglich behandelt werden muss. Die Annahme, dass das Kindeswohl in erster Linie das Familienwohl ist, begründet sich darin, dass auch die Eltern bei der Kindesvernachlässigung im Zentrum stehen. Wie das Dilemma zwischen Hilfebedürftigkeit von Eltern und Hilflosigkeit der Kinder bei Vernachlässigung zeigt, ist es daher erforderlich, dass an die Eltern die sogenannten nied-rigschwelligen Hilfsangebote weiter gegeben werden, damit sie, ohne sich gehemmt fühlen zu müssen, in die Lage versetzt werden, die elterliche Versorgungs- und Erziehungsverantwortung zu tragen. Das Kindeswohl muss jedoch letztendlich zugunsten der Kinder sein. Somit soll das Kindeswohl auch darauf zurückgeführt werden, dass Kinder sowie ihre Eltern „ein soziales Minimum an Chancen bekommen, ihr Wohlergehen zu verwirklichen“ (vgl. auch Schrödter 2007; Oelkers/Schrödter 2008, S. 158). In dieser Hinsicht zeigt „die Konzeption des Guten“ von Nussbaum (1999) somit eine längerfristige Perspektive auf, weil sie mehr als die Bereitstellung von ausreichend materiellen Gütern ist.