Genetisch bedingte Kardiomyopathien sind schwere Erkrankungen des Herzmuskels.
Sie führen oft zu Herzinsuffizienz, deren einzige kausale Therapie die Herztransplantation
ist. Die genetische Prädisposition der Kardiomyopathie ist zudem die Hauptursache
für den plötzlichen Herztod bei jungen Sportlern (D’Silva u. a. 2015).<br />
Ursächlich für die Erkrankung sind Mutationen in verschiedensten Genen. Die Mechanismen,
die von der genetischen Veränderung zu einer Symptomatik führen, sind
bisher nur teilweise verstanden. Häufig zeigt der Genotyp eine unvollständige Penetranz
und bildet variable Phänotypen aus. Um die Mechanismen und damit die Ursache
der Erkrankung zu verstehen, ist die interdisziplinäre Forschung von medizinischen,
biochemischen und biophysikalischen Ansätzen erforderlich. Wird beispielsweise
in Verbindung mit einer Erkrankung eine neue Genvariante entdeckt, helfen funktionale
biophysikalische und biochemische Analysen die molekularen und zellularen Effekte
der Genvariation aufzuklären und zu klassifizieren (Richards u. a. 2015). Die Klassifizierung
findet Anwendung in der genetischen Beratung der betroffenen Familien.<br />
Mutationen, die im Zusammenhang mit Kardiomyopathien stehen, kodieren verschiedene
Proteine in Herzmuskelzellen. Von diesen wurden in der vorliegenden Arbeit
die Proteine Desmin und Desmoglein2 biophysikalisch charakterisiert.<br />
Das Intermediärfilament Desmin ist ein wichtiger Bestandteil des Cytoskeletts der
Muskelzelle. Desminfilamente bilden ein flexibles Gerüst im Cytoplasma und geben
der Zelle strukturellen und mechanischen Halt. Mutationen im Desmin-Gen (DES)
verursachen eine große Bandbreite schwerer Skelett- und Herzmuskelerkrankungen.<br />
Das Cadherin Desmoglein gehört zu den Desmosomen, welche punktuell zwei Zellen
mechanisch miteinander verknüpfen. Desmoglein2 ist eines von zwei Transmembranproteinen
des kardialen Desmosoms, deren extrazellulare Domänen den Raum zwischen
den Zellen überbrücken und mit gegenüberliegenden Domänen einen adhäsiven
Kontakt herstellen. Somit erhalten Desmosomen die mechanische Integrität des Herzmuskels.
Mutationen im Desmoglein2-Gen (DSG2) sind häufig Ursache der seltenen
arrhythmogenen rechtsventrikulären Kardiomyopathie.<br />
Die Erforschung der Eigenschaften und Funktionen des Proteinwildtyps auf molekularer Ebene und der zellulare Kontext sind essenziell für das Verständnis der Pathomechanismen
von Proteinvarianten. Vor diesem Hintergrund wurden die isolierten
Proteine mittels Rasterkraftmikroskopie und -spektroskopie untersucht. Das Rasterkraftmikroskop
(AFM) ist ein vielseitiges Instrument mit dem biologische Proben abgebildet
und auf mechanische Eigenschaften untersucht werden können. Neben einem
konventionellen AFM-Setup wurde ein aperturloses optisches Rasternahfeldmikroskop
genutzt, welches - zusätzlich zur Topografie - Fluoreszenz detektieren kann.<br />
Die Eigenschaft von Desmin zu Filamenten zu assemblieren lag im Fokus bei diesem
Protein beziehungsweise Proteinkomplex. Die in vitro assemblierten Desminfilamente
wurden mit AFM und aperturlosem optischen Rasternahfeldmikroskop abgebildet.
Dabei lag der Forschungsschwerpunkt bei dem Vergleich des Assemblierungsverhaltens
von verschiedenen Varianten mit dem Wildtyp. Es wurde sowohl die homophile Assemblierung
als auch die heterophile Assemblierung, also ein Gemisch aus Wildtyp und
der jeweiligen Variante, untersucht. Einige der untersuchten Desminvarianten zeigten
schwere Beeinträchtigung bei der Bildung zu nativen Filamenten.<br />
Unter dem Aspekt der Bindungseigenschaften wurde die adhäsive Region von Desmoglein2
untersucht. Mit dynamischer Kraftspektroskopie wurde die homophile Bindungskinetik
von Desmoglein2-Proteinfragmenten betrachtet und darüber hinaus wurde
die freie Enthalpie der Bindung abgeschätzt. Dabei zeigte der Wildtyp eine Bindungscharakteristik,
die von homologen Cadherinen bekannt ist.<br />
Neben des Erkenntnisgewinns des nativen Charakters von Desmin und Desmoglein2
wurden diese Methoden herangezogen, um Kardiomyopathie assoziierte Varianten dem
jeweiligen Wildtyp gegenüberzustellen und funktionale Unterschiede aufzudecken. Die
Ergebnisse können dabei helfen die Auswirkung der Genvariation auf molekularer Ebene
zu verstehen und sind ein wichtiges Puzzlestück für die Klassifizierung der Varianten.