Insbesondere in seinen frühen Arbeiten kritisiert Niklas
Luhmann das Postulat einer werturteilsfreien Soziologie und präsentiert seine
Systemtheorie als deskriptiv-erklärende und normativ-bewertende Theorie der
sozialen Welt. Der Artikel rekonstruiert diesen bislang kaum bekannten Aspekt
in Luhmanns Werk und vertritt die These, dass die Methode des Äquivalenzfunktionalismus
und das Verständnis sozialer Systeme als wertkomplexer Problemlösungszusammenhänge
die Grundlage für ein Konzept systemtheoretischer
Sozialkritik bilden, welches eine Alternative zu den Ansätzen immanenter Kritik
einerseits und werturteilsfreier Sozialforschung andererseits bietet. Wichtige
Grenzen systemtheoretischer Kritik liegen darin, dass ihre wertenden Aussagen
stets auf konkrete Systemreferenzen und Bezugsprobleme bezogen sein müssen;
dass die Selektion dieser Bezugsprobleme auch des Rekurses auf wissenschaftlich
nicht begründbare Werte bedarf und schließlich darin, dass ihre wertenden
Urteile aus theorieimmanenten Gründen in der Regel nicht durch Eindeutigkeit
auffallen, sondern von Ambivalenz geprägt sind.