Intentionales Kinderfernsehen transportiert spezifische Vorstellungen von Kindheit und ist ebenso politisches Objekt wie Ausdruck gesellschaftlicher Zeitströmungen. Für letztere sind die Globalisierung und Marktorientierung vieler Lebensbereiche von zunehmender Bedeutung. Auch für das Kinderfernsehen wurde immer wieder eine zunehmende Internationalisierung, Amerikanisierung, Kommerzialisierung und Vermassung, die zueinander in Beziehung gesetzt wurden, kritisch konstatiert, ohne dies mit eindeutigen Analysen zu untermauern.
Die vorliegende Arbeit hat deshalb den aktuell erreichten Grad der Internationalisierung des Kinderfernsehens und dessen Bedeutung für das Programmangebot untersucht. Als Gegenstand der Studie wurden dabei das deutsche und das britische Kinderfernsehen miteinander vergleichend in Beziehung gesetzt. Nach einer medienhistorischen, kulturellen und wissenschaftlichen Einordnung der Thematik wurde für einen künstlichen Programmmonat im Frühjahr 2003 eine quantitative Bestandsaufnahme und statistische Auswertung von 21.177 Kindersendungen in beiden Ländern erstellt. Auf Basis der darin aufgezeigten Trends wurden drei Animationsserien unterschiedlicher Provenienz qualitativ auf formale, ästhetische und inhaltliche kulturelle Implikationen – national oder international – untersucht.
Die quantitative Analyse ergibt, dass die Kinderfernsehangebote in Deutschland und Großbritannien bereits nach wenigen Monaten zu über 50 % identisch sind, während die jeweils eigenständigen Programmanteile die Minderheit bilden. Die Schnittmenge wird zu 80 % von Animationsserien bestimmt, und die dominierenden Programme stammen aus den USA, während sich aus Europa nur britische Produktionen nennenswert behaupten können. US-amerikanische Animationsserien allein machen 27 % des deutschen und 40 % des britischen Kinderfernsehangebots aus. Die Genrezusammensetzung beider Angebote ist weit-gehend identisch, obwohl das Material aus unterschiedlichen Quellen bezogen wird und die Briten stärker zu spezialisierter Programmbeschaffung neigen.
Maßgeblicher Träger der Internationalisierung, Amerikanisierung und Cartoonisierung des Kinderprogramms sind die Zielgruppenkanäle, die zu den Sendernetworks der global operierenden Medienkonzerne gehören. Werden von diesen auch nur die fünf mit der längsten täglichen Sendezeit nicht berücksichtigt, sinkt der Umfang des Gesamtangebots an Kinderprogrammen um zwei Fünftel. Gleichzeitig schrumpft die programmliche Schnittmenge bei-der Märkte auf 40 Prozent, während die europäischen Produktionen gegenüber den amerikanischen an Bedeutung gewinnen. Das wechselseitige Verhältnis des britischen und des deutschen Kinderfernsehens verschiebt sich dadurch ebenfalls: Insgesamt ist das britische Programm für deutsche Produktionen und Koproduktionen nur halb so durchlässig wie umgekehrt; ohne die Network-Kanäle sogar nur ein Fünftel so durchlässig.
Insgesamt zeigt sich eine weitgehende Internationalisierung des Kinderfernsehens, die sich in einer Homogenisierung der beiden nationalen Programmangebote und deutlicher Dominanz der Animation vor allem bei Importen und Koproduktionen äußert. Diesem Befund entspricht die inhaltliche Angleichungstendenz: Für eine erfolgreiche internationale Verwendung von Programmen ist der Verzicht auf alltagskulturelle Implikationen vorteilhaft. Dies führt dazu, dass standardisierte Produktionen in stilisierten oder phantastischen Umgebungen, mit klischeehaften Figuren und allgemeinverständlich-banalen Plots das Programm in beiden Ländern bestimmen und vereinheitlichen. Sofern doch einmal nationalkulturelle Referenzen vermittelt werden, sind diese am ehesten amerikanischen Ursprungs, da europäische Kinder aus anderen medialen Kontexten darauf vorbereitet sind.
Das gegenwärtige Kinderfernsehen ist somit weniger international als vielmehr „glocal“, es bewegt sich zwischen den beiden Polen des lokal-kulturspezifischen und des global-standardisierten Programms. Die Darstellung der weltweiten Vielfalt an Perspektiven und Themen ist dagegen bedeutungslos geworden.
Ausgehend von den Ergebnissen dieser Studie können weiterführende Untersuchungen zukünftig Auskunft darüber geben, wie sich dieses „glocalisierte“ Kinderfernsehen auf das kulturelle Bewusstsein und die Mentalitätsbildung des Kinderpublikums auswirkt.