Viele Kinder haben beim Lesen- und Schreibenlernen in der Grundschule nachhaltige Schwierigkeiten. Im Mittelpunkt des Forschungsinteresses in den letzten Jahren standen phonologische Leistungen wie Lautanalyse und -synthese als zentrale Voraussetzung für den Lernerfolg im Anfangsunterricht. Vernachlässigt wurden hingegen Erfahrungen, die Kinder mit der Schrift und anderen grafischen Darstellungsformen bereits vor Schuleintritt gemacht haben. In unserem Projekt der Universität Siegen wurde die Wirksamkeit unterschiedlicher vorschulischer Ansätze zur Prävention von Schwierigkeiten im Schriftspracherwerb untersucht, insbesondere im Blick auf Kinder mit wenig Schrifterfahrung. Im Rahmen einer Feldstudie wurden von 1997 bis 2001 drei Interventionen (BLISS als logografisches Zeichensystem vs. Einführung in die alphabetische Schrift vs. phonologische Förderung ohne Schriftbezug) im Kontrollgruppenvergleich einander gegenübergestellt. Für das BLISS- und das Schrift-Angebot wurden umfangreiche Materialpakete entwickelt; die phonologische Förderung bestand aus einer verkürzten Version des Würzburger Trainingsprogramms von Küspert/Schneider (1999). An der Förderung beteiligt waren in vier Wellen insgesamt 179 Kinder sowie 637 Kinder in verschiedenen Kontrollgruppen. In den ersten beiden Jahren fanden die Fördermaßnahmen in Kindergärten statt, im dritten und vierten in Schulkindergärten. Von 140 Kindern liegen neben vorschulischen Prä- und Posttests vollständige Nacherhebungsdaten vor, die zu drei Messzeitpunkten im Laufe des ersten Schuljahrs erhoben wurden.
Für alle drei Interventionsgruppen konnten spezifische Fördereffekte nachgewiesen werden. So kamen die phonologisch geförderten Kinder (allerdings nur diejenigen im Schulkindergarten) zu deutlich besseren Ergebnissen in den Synthese-, Analyse- und Anlautaufgaben als die beiden anderen Fördergruppen. Nach der Teilnahme an der Schrift-Förderung schnitten die betreffenden Kinder in den schriftbezogenen Aufgaben (im Schulkindergarten: signifikant) besser ab als die beiden Vergleichsgruppen. Die Kinder der BLISS-Gruppe konnten nach der Förderung einen hohen Anteil der ihnen gestellten BLISS-Aufgaben lösen; zugleich erzielten sie die besten Ergebnisse bei mehreren Aufgaben zur Struktur schriftsprachlicher Konzepte (Leserichtung, Wort- und Satzkonzept).
Beim vertikalen Transfer auf den Anfangsunterricht im Lesen und Schreiben erwies sich kein Förderprogramm als überlegen. Allerdings waren in der BLISS-Gruppe die Ausgangsbedingungen etwas ungünstiger. Insofern könnte man ein vergleichbares Leistungsniveau der BLISS-Gruppe am Ende der Untersuchung aufgrund des höheren Lernzuwachses als einen leichten Vorteil dieser Fördermaßnahme interpretieren. Deutlicher ist die Überlegenheit der BLISS-Gruppe bei Kindern mit ungünstigen Voraussetzungen, nämlich bei den unteren 25% der normal eingeschulten Kinder sowie bei den im Schulkindergarten geförderten, vom Schulbesuch zurückgestellten Kindern. Innerhalb dieser Teilgruppe erreichten die am BLISS-Angebot beteiligten Kinder trotz schlechterer Ausgangsbedingungen im Vergleich zu den anders geförderten Kindern die besten Ergebnisse beim Wörterdiktat sowie bei den Leseaufgaben im ersten Schuljahr.
In der vorliegenden Arbeit, die aufgrund des neuen Forschungsfeldes explorativen Charakter hat und nicht als Effektivitätsstudie verstanden werden sollte, werden neben Vergleichen von Fördergruppen und Teilgruppen auch individuelle Entwicklungsverläufe über 18 Monate anhand von Testergebnissen nachvollzogen. Die eigenen Erfahrungen aus dem Projekt wie auch eine Reihe weiterer Beispiele aus der aktuellen Literatur verdeutlichen, dass spielerische und kindgemäße Förderangebote zur Erleichterung des Schriftspracherwerbs in jedem Kindergarten und Schulkindergarten mit vertretbarem Aufwand möglich und lohnend sind. Dabei bieten sich - entgegen dem aktuellen Trend der Schriftspracherwerbsforschung - nicht nur phonologisch orientierte Zugangsweisen an, sondern auch solche, die vielfältige Anlässe zum Erforschen der Alphabetschrift und verwandter Notationssysteme schaffen.