Schülern gezielt Wege naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung bewusst zu machen, ist spätestens seit der Veröffentlichung der Bildungsstandards wieder stärker in den Blick geraten. Leider wird naturwissenschaftlich orientiertes Arbeiten aber nicht selten auf die systematische Durchführung einer Forschungshandlung reduziert, bei der naturwissenschaftliche Prozesse wie 'Beobachten' oder 'Schlussfolgerungen ziehen' rezeptartig angewandt werden müssen. Ein sinnvoller Einsatz naturwissenschaftlicher Prozesse erfordert jedoch neben konkreten Inhalten sowie einer Kenntnis der Prozesse selbst auch immer eine Methodologie, also eine Reflexion über naturwissenschaftliche Methoden. Dieses Meta-Wissen umfasst weder in Lernstandserhebungen prüfbare Kenntnisse noch das 'korrekte' Anwenden naturwissenschaftlicher Prozesse, sondern Wertvorstellungen und erkenntnistheoretische Grundannahmen, auf denen naturwissenschaftliches Wissen und naturwissenschaftliche Tätigkeiten basieren. Ohne ein solches Meta-Wissen ist weder die Entwicklung eines naturwissenschaftlichen Problembewusstseins oder gar einer naturwissenschaftlichen Beurteilungskompetenz, noch eine Anerkennung der Leistungen der Naturwissenschaften möglich. Während sich für dieses Wissen über die 'Geartetheit' der Naturwissenschaften im deutschen Sprachraum die Wendung 'Natur der Naturwissenschaften' durchzusetzen scheint, spricht man im internationalen Diskurs von nature of science (NOS).
Bei der derzeitigen Fokussierung auf messbaren, unterrichtlichen Output werden Möglichkeiten eines Wissenserwerbs über NOS nur randständig beachtet. In der vorliegenden Fallstudie werden zwei Wege zum Erwerb von Wissen über nature of science in praxisgerechten, geöffneten Lehr-Lern-Arrangements vergleichend untersucht: Einerseits ein rein impliziter Weg, bei dem SchülerInnen in der Rolle naturwissenschaftlicher Forscher agieren (open inquiry), indem sie die Wirkungsweise einer Babywindel naturwissenschaftlich untersuchen. Andererseits ein implizit-vorstrukturierter Weg, der in Form eines Gruppenpuzzles die historische Entwicklung unterschiedlicher Säure-Base-Konzeptionen ex post als Sprungbrett für eine Reflexion über Naturwissenschaften nutzt. Das Potenzial beider Wege wird anhand einer explorativen Fallstudie mit insgesamt 60 SchülerInnen der Jahrgangsstufe 11 ausgelotet. Als Erhebungsinstrument kommt eine adaptierte Fassung des Fragebogens "VNOS-C" (Lederman et al. 2002) zum Einsatz. Forschungsleitende Fragestellungen sind dabei:
- Welche Vorstellungen über NOS bringen die beforschten Schüler mit in den Unterricht?
- Welches Potenzial weist ein bezogen auf NOS implizit-vorstrukturiertes Lernarrangement beim Erwerb von Wissen über nature of science auf, bei dem Schüler eine eigenständige Rekonstruktion historischer und explizit dargelegter Forschungsprozesse leisten müssen?
- Welche Effekte zeigt ein lerntheoretisch attraktiver Weg eines impliziten Erfahrungslernens auf Schülervorstellungen zum Bereich NOS, bei dem Schüler in einer Forscherrolle einem relativ offenen naturwissenschaftlichen Problem (open inquiry) nachgehen müssen?