Zur Diagnose des Isoliersystems von Leistungstransformatoren kommt eine Vielzahl unterschiedlicher elektrischer und nicht-elektrischer Verfahren zum Einsatz. Jedes dieser Verfahren kann Aufschluss über eine oder mehrere bestimmte Komponenten des komplexen Systems Transformatorisolierung geben. Ein einzelnes Verfahren, das eine Diagnose des Gesamtobjekts zulässt, ist aufgrund der Komplexität des Systems nicht verfügbar. Für eine Beurteilung des Gesamtsystems ist grundsätzlich eine Analyse mit mehreren unterschiedlichen Verfahren erforderlich.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden speziell zwei Verfahren untersucht: Rückkehrspannungsmessungen und Teilentladungsmessungen in Transformatoröl. Die Rückkehrspannungsmessung als dielektrisches Diagnoseverfahren, bisher hauptsächlich aus der Kabeldiagnose bekannt, liefert ein integrales Abbild der dielektrischen Eigenschaften der gesamten Transformatorisolierung, während die Teilentladungsdiagnose des Isolieröls zunächst nur Rückschlüsse auf die Ölqualität zulässt, die aber in großem Maße den Zustand des Gesamtsystems widerspiegelt.
Beide Verfahren haben gemeinsam, dass die eigentliche Messtechnik mit vergleichsweise einfachen Mitteln aufzubauen ist. Speziell die Rückkehrspannungsmessung ist relativ störsicher, während Teilentladungsmessungen oft unter Laborbedingungen durchgeführt werden. In den letzten Jahren hat allerdings auch die softwaregestützte Störunterdrückung erheblich an Bedeutung gewonnen, wobei durch spezielle Algorithmen Störsignale von Nutzsignalen getrennt werden können.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist in erster Linie die Vorstellung neuer Möglichkeiten zur Auswertung der genannten Verfahren unter Ausnutzung der dargelegten physikalischen Zusammenhänge. Dadurch ist es möglich, aus mit den herkömmlichen Messverfahren gewonnenen Daten zusätzliche Informationen zu erhalten.
Speziell im Fall der Rückkehrspannungsmessung, die unter der Bezeichnung "Recovery Voltage Method" bzw. "Polarisationsspektrum" seit längerem von vielen Autoren als für die Transformatordiagnose ungeeignet dargestellt wird, ist eine eingehendere Betrachtung der physikalischen Hintergründe des Verfahrens sinnvoll, da die in der Literatur angezweifelten Messergebnisse in erster Linie auf eine Fehlinterpretation der Messdaten anhand einer ungeeigneten Modellbildung zurückzuführen sind.
Teilentladungsmessungen in Isolieröl mit geeigneten inhomogenen Elektrodenanordnungen sollen Rückschlüsse auf die Ölqualität, speziell zumindest qualitativ auf den Gehalt an kurzkettigen Abbauprodukten, ermöglichen. Das Fernziel der Untersuchungen ist die Entwicklung einer Messanordnung zum Einbau in Transformatoren, mit der eine Online-Ölüberwachung durchgeführt werden kann. Zu diesem Zweck werden Parameter gesucht, die eine automatische Auswertung gestatten.
Die Arbeit präsentiert zunächst die Theorie und Modellvorstellungen, die den Verfahren zugrunde liegen. Die theoretischen Überlegungen werden anschließend anhand von realen Messergebnissen näher erörtert. Des weiteren werden Vergleiche mit Simulationen und Berechnungen vorgenommen.