Ausgangspunkt unserer Forschung ist das Macht- und Spannungsverhältnis zwischen der Institution Gefängnis einerseits und dem inhaftierten Individuum andererseits. In Anlehnung an den Philosophen Michel Foucault verstehen wir Gefängnis als Institution, die die Insassen permanent überwacht, kontrolliert und diszipliniert. Uns interessiert, wie das inhaftierte Individuum mit den Einschränkungen im reglementierten Haftalltag konkret umgeht.
Eine erste These lautet, dass der Gefangene auf diesen Autonomieverlust mit der Herstellung individueller Freiräume reagiert. Die Konstruktionsprozesse solcher Freiräume sind gemäß der Cultural Studies als bedeutungsstiftende, kulturelle Praktiken im Alltag zu lesen. Diese können materieller sowie symbolischer Art sein und werden durch aktives Handeln individuell und kreativ in einem Geflecht aus Raum, Zeit und körperlichem Einsatz in Form von Artefakten, Ritualen und Gestaltungsformen verschiedener Art konstruiert.
Im Zentrum unserer Forschung steht der bewohnte Haftraum, der mehrere Lebensbereiche vereint und durch die Insassen ausschließlich in einem von der Justizvollzugsanstalt vorgegebenen Rahmen ausgestaltet werden darf. Es stellen sich folgende Fragen: Welche legalen Freiräume werden in Hafträumen von den Gefangenen konstruiert, was wird individuell entwickelt und gebastelt? Wie werden die erzeugten Freiräume von dem Individuum erlebt? Welche Bedeutungen können die Insassen aus diesen Freiräumen gewinnen?
Unser methodisch-empirischer Zugriff ist die Photo-Elicitation: Zwei Gefangene der Justizvollzugsanstalt Attendorn haben sich für fotobasierte Interviews bereit erklärt. Bei diesem Vorgehen fotografieren wir in einem ersten Schritt die Zellen der partizipierenden Insassen mit dem Fokus auf die sichtbaren bzw. dokumentierbaren, individuell geschaffenen Freiräume. Die in dem darauf folgenden Schritt angesetzten Interviews werden auf Grundlage eines Leitfadens geführt, der neben festgelegten Fragen ausreichend Raum für freie und spontane Assoziationen bietet. Als Stimulus für die Befragungen dienen die von uns aufgenommenen Fotografien, die in der Justizvollzugsanstalt angefertigt wurden. Das daraus gewonnene Datenmaterial wird qualitativ unter Einbezug des Raumbegriffs der Soziologin Martina Löw ausgewertet.
Ziel der Forschung ist eine kulturwissenschaftliche Analyse der individuell erzeugten Freiräume der Gefangenen hinsichtlich ihrer Bedeutungen sowie deren zugrunde liegenden Konstruktionspraktiken im Alltag.