Die vorliegende Arbeit beurteilt den Einfluss von passiven Überkopf-Exoskeletten, welche im industriellen Produktionsumfeld zur Anwendung kommen sollen auf die Physiologie des menschlichen Körpers. In der hochautomatisierten Automobilindustrie existieren nach wie vor Arbeitsplätze, an denen Menschen unter erheblicher körperlicher Belastung arbeiten müssen. Dazu zählen Arbeitsplätze an denen Überschulter- bzw. Überkopfarbeitet verrichtet wird. Die dadurch entstehenden körperlichen Beanspruchungen auf das Schulter-Arm-System können die Entstehung von Muskel-Skelett-Erkrankungen begünstigen. Als kostengünstige und schnell einsetzbare individuelle ergonomische Maßnahme werden Überkopf-Exoskelette angesehen, deren resultierende Auswirkungen auf die Physiologie des Trägers bislang allerdings noch nicht ausreichend erforscht wurden. Existierende Studien beschränken sich häufig auf die Anwendung einzelner Messverfahren, mit dem Ziel die Beanspruchung einzelner lokaler Körperpartien zu erfassen und zu bewerten. Darüber hinaus sind diese Studien in großer Mehrheit in Laborumgebungen durchgeführt worden, die die realen Einsatzbedingungen nicht ausreichend widerspiegeln. Feldstudien an realen Arbeitsplätzen aus der industriellen Produktion, insbesondere jene, mit Anwendung objektiver Messverfahren, beschränken sich auf eine sehr geringe Anzahl.
Die Arbeit befasst sich beginnend mit der Aufarbeitung der Grundlagen zu arbeitsbedingten Muskel-Skelett-Erkrankungen, welche typischerweise vermehrt im produzierenden Gewerbe vorzufinden sind. Der Zusammenhang zwischen erhöhten Belastungen auf das Schulter-Arm-System, ausgelöst durch Arbeiten im Überkopf- bzw. Überschulterbereich, und dem gehäuften Vorkommen von Muskel-Skelett-Erkrankungen des Schulter-Arm-Systems wird herausgearbeitet. Zusätzlich wird ein Überblick über die gängigen Methoden der Bewertung von Belastungen sowie Beanspruchungen im Kontext der Arbeitswissenschaft vermittelt und es wird ein Vergleich zu den bisher durchgeführten Studien gezogen, um so die vorhandene Forschungslücke aufzuzeigen. Auf dieser Grundlage werden anschließend die Hypothesen abgeleitet. Innerhalb dreier Studienabschnitte werden die Ganzkörper- so-wie die körperteilbezogenen Beanspruchungen subjektiv und objektiv evaluiert. Im ersten Studienabschnitt wird die grundsätzliche Eignung von Überkopf-Exoskeletten als ergonomische Verbesserungsmaßnahme zur Reduktion der arbeitsplatzbezogenen Beanspruchung überprüft und anschließend eine geeignete Messmethodik zur Beurteilung der physiologischen Auswirkungen entwickelt. Im zweiten Studienabschnitt wird zunächst die Methodik in einer umfangreichen Laborstudie angewandt und im Anschluss die Eignung der Messmethodik im Feld explorativ überprüft. Im dritten und letzten Studienabschnitt wird die Übertragbarkeit der Ergebnis-se der Laborstudie in zwei weiteren Feldstudien und unter Einbezug dreier unterschiedlicher Überkopf-Exoskelette evaluiert.
Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, dass eine signifikante Reduktion der subjektiven Beanspruchung in Oberarm, Schulter und Nacken sowie im gesamten Körper durch Einsatz eines passiven Überkopf-Exoskelettes wahrgenommen wird. Steigerungen der subjektiven Beanspruchungen in Körperbereichen, in die die Lasten umverteilt werden, fallen hingegen sehr gering aus. Diese Erkenntnisse zeigen sich gleichermaßen für sämtliche durchgeführte Studien, sowohl unter Labor- als auch unter Feldbedingungen. Unter Einsatz der entwickelten Messmethodik wurden unter Laborbedingungen signifikante relative Reduktionen der elektromyographischen Aktivität der lokalen Schulter- und Armhebemuskulatur (Musc. trapezius pars descendens und deltoideus pars acromialis bis zu -40 %) sowie gleichzeitig eine Steigerung der lokalen Sauerstoffgewebesättigung nachgewiesen. Die globalen Beanspruchungsparameter wurden im Labor durch den Einsatz eines Überkopf-Exoskelettes hingegen nur mäßig beeinflusst. Während absolute und spezifische Sauerstoffaufnahme sowie der Energieumsatz unter dynamischen Bewegungen geringe Reduktionen ( 7,3 %, 5,1 % und 12,3 %) aufwiesen, konnte in verschiedenen statischen Haltungen kaum ein Einfluss oder aber eine geringe Steigerung (1,0 %, 7,7 % und 1,3 %) bei Verwendung eines Exoskelettes gemessen werden. Allerdings reduzierte die Intervention die Arbeitspulsfrequenz über alle Arbeitsformen um rund 21 % hinweg. Die Ergebnisse der Feldstudien an unterschiedlichen Arbeitsplätzen zeigten, dass die globalen Beanspruchungsparameter durch den Einsatz verschiedener Überkopf-Exoskelette nur marginal beeinflusst werden. Unter Laborbedingungen wird der Unterstützungseffekt von Überkopf-Exoskeletten gezielt isoliert, weshalb Reduktionen bei der objektiven globalen Beanspruchung messbar sind. Unter realen Bedingungen entfällt die künstliche Isolation und die postulierten Reduktionseffekte fallen zu gering aus, als dass sie statistisch signifikant ausweisbar wären.
Der Einsatz von Überkopf-Exoskeletten als Maßnahme zur ergonomischen Verbesserung des Arbeitsplatzes erfordert eine detaillierte und umfassende Untersuchung der Auswirkungen auf die Physiologie. Die vorliegende Arbeit versucht auf Basis eines entwickelten holistischen Ansatzes ein erstes, möglichst ganzheitliches Bild des Einflusses durch die standardisierte Auswertung von subjektiver und objektiver sowie lokaler und globaler Beanspruchungsparameter zu zeichnen. Auf der entwickelten Messmethodik aufbauend, sollten weitere Labor- und Feldstudien unter Einsatz größere Probandenkollektive sowie weiterer Exoskelette durchgeführt werden, um akkurate Empfehlungen für den Einsatz im industriellen Umfeld abzuleiten.